Lions - Leichte Beute (German Edition)
meinte sie, ziemlich wildes Gebrüll und ein Wimmern gehört zu haben. Doch als sie auf zweihundertsechzig beschleunigte und die Kehre am Watermans Way nahm, war ihr klar, dass sie Dee ein neues Armaturenbrett kaufen musste. Diese Krallenspuren würden den Wert des Wagens auf jeden Fall mindern.
Kies und Erde spritzten hoch, als sie schleudernd in den Parkplatz des Supermarktes einbog. Ein Supermarkt, der ihresgleichen belieferte, genau auf der Grenze zwischen Wolfs-, Katzen- und Hyänenterritorium. Er hieß schlicht Mega Store und war eine der »sicheren Zonen« in der Umgebung, in der sich die verschiedenen Rassen gefahrlos mischen konnten.
Sissy schaltete den Motor ab und warf ihrer Cousine, die seelenruhig auf dem Rücksitz saß, den Schlüssel zu. »Mann, war das gut! So was kann man in New York einfach nicht machen.« Sie tätschelte Mitchs Knie und ergötzte sich daran, wie sein ganzer Körper vor ihr zurückzuckte. »Na komm, Mitchy. Lass uns ein paar Vorräte für deinen Löwenhunger besorgen.«
Sie musste sich auf die Unterlippe beißen, um nicht zu lachen, und genoss ihr Leben weit mehr, als sie eigentlich sollte, als sie aus dem Wagen stieg und auf die großen Glastüren des Supermarktes zuging.
Als ihr klar wurde, dass Mitch Shaw sich nicht so bald rühren würde, rutschte Dee-Ann Smith zur anderen Seite des Rücksitzes hinüber und stieg auf der Fahrerseite aus. Sie beugte sich herunter, schaute hinein und runzelte ein wenig die Stirn, als sie sah, wie blass die Großkatze geworden war.
Blass und ein bisschen grün.
»Es gibt einen ruhigen kleinen Flecken hinter dem Gartencenter da drüben. Falls du ein paar Minuten für dich brauchst.«
Ohne sie anzusehen, nickte Mitch mit dem Kopf. »Danke.«
»Kein Problem.« Sie richtete sich auf und schloss die Wagentür, wobei sie darauf achtete, sie nicht zuzuknallen, da sie wirklich nicht wollte, dass der Mann sein Essen in ihrem Auto wieder von sich gab.
Dee-Ann holte Sissy hinter dem Eingang des Supermarktes ein. Sie hatte Tränen in den Augen, und Dee wusste, dass sie über den armen Mitch gelacht hatte.
»Du bist gemein!«
»Er wollte es so!«
»Im Moment kotzt der arme Junge hinters Gartencenter, und du …«
»Ooh. Gib mir dein Handy! Ich will ein Foto machen!« Sie versuchte, danach zu schnappen, aber Dee fing ihren Arm ab und riss sie zurück.
»Ich bin nicht in Stimmung, mit dir zu raufen.«
»Du weißt eben nicht, was Spaß macht!«
Dee machte sich nicht die Mühe, ihr zu widersprechen. Sie wusste, dass ihre Cousine unglaublich naiv sein konnte, was viele Dinge anging. Sie konnte egoistisch, leicht obsessiv und eine Nervensäge höchster Güte sein. Aber im Großen und Ganzen war Sissy ein guter Kerl, und Dee fand es jammerschade, dass ihre Cousine nicht Alphafrau von Smithtown war. Natürlich hatte Dee erst nach ihrer Rückkehr nach Hause erfahren, dass Sissy für immer nach New York gezogen war. Ihr Leben hatte in den letzten fünf Jahren nicht viele Möglichkeiten geboten, Neuigkeiten von ihrer Familie zu erfahren.
Und Sissy hatte recht. Dee wusste wirklich nicht, wie man Spaß hatte. Nicht mehr. Ihr Leben war in den letzten Jahren kein Spaß gewesen, und ein beginnendes Magengeschwür war der Beweis dafür. Sissy hatte Mitch ein wenig irregeführt, als sie erzählt hatte, Dee sei in »Übersee« gewesen. Mitch hatte wahrscheinlich gedacht, dass Dee im Irak gekämpft hatte wie der Rest der Marines, bei denen sie ausgebildet worden war. Aber das war falsch. Man hatte sie losgeschickt, um andere Dinge zu tun, und sie war nie in einem arabischen Land gewesen, ganz zu schweigen von einem Kampfeinsatz dort. Als sie ehrenhaft aus dem Dienst entlassen wurde, hatte sie überlegt, dass es das Beste für sie sei, nach Tennessee zurückzugehen. Aber abgesehen von ihrer Freude darüber, ihre Eltern und das Revier wiederzusehen, in dem sie so gern lief und jagte, hatte sie langsam schon wieder genug davon.
Doch Sissy hatte die Fähigkeit, die »Spaß«-Seite in jedem zum Vorschein zu bringen, wenn sie es sich in den Kopf gesetzt hatte. Um Janie Mae zu zitieren: »Sissy kam schon mit erhobenem Mittelfinger aus meinem Bauch.«
Mitch schloss zu den Frauen auf, und sein finsterer Blick galt Sissy und nur Sissy allein. Er hatte etwas von seiner Farbe wiedergewonnen und ließ schon eine Kaugummiblase platzen – ja, er war wohl hinterm Gartencenter gewesen, schloss sie mit einem Lächeln.
Sissy grinste zu ihm hinauf. »Wie geht’s,
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