Lipstick
Letztens, das war was vollkommen anderes!«
»Wie meinst du das – was anderes? Ich denke, wir leben zusammen, und wenn wir das auch weiterhin tun, sollte sich für uns beide etwas ändern.«
Er reichte mir ein Glas, von dem ich, ohne ihm zuzuprosten, einen gierigen Schluck nahm.
Tom hatte wohl Kreide, gemischt mit einem ganzen Cocktail Hormone, gefressen. Oder von seiner Rita eins auf den Deckel bekommen. Anders war sein Verhalten wirklich nicht zu verstehen. Ein komplett ausgewechselter Tom, der vielleicht erst mal so fair sein sollte, mir seine Rita-Geschichte zu erzählen.
»Rita spielt keine Rolle.«
»Hat sie Schluß gemacht?«
»Und wenn es so wäre, ich könnte nicht mit dir darüber reden«, konterte er mit meinen eigenen Worten.
»Aber du mußt doch irgendeinen Grund haben!«
Tom zwirbelte den Stiel seines Sektglases wie einen Brummkreisel.
»Willst du denn nie ein Kind?«
Ich sah Tom überrascht an, konnte seiner Logik absolut nicht mehr folgen. Kinderkriegen war ein Thema, das wir im Laufe der Jahre immer und immer wieder durchdiskutiert hatten, und langsam fand ich, es war ausdiskutiert – endgültig.
Hatte es mal Phasen gegeben, in denen ich mir ein Kind gewünscht hatte, war Tom dagegen gewesen, kam er dann plötzlich auf den Geschmack, blockte ich ab. Irgendwelche Gründe wurden immer vorgeschoben: Karriere, Geldsorgen, wir haben doch noch Zeit, und irgendwann war ich zu der Überzeugung gelangt, daß wir es im Grunde nur nicht miteinander wollten.
»Wieso, möchtest du denn?«
Statt auf meine Frage zu antworten, sagte Tom: »Ich glaube, duweichst dem Leben aus. Du drückst dich, du bist feige, kriegst deinen Hintern nicht hoch, suhlst dich nur in der eigenen Brühe.«
»Ach ja?«
»Genauso ist es.«
»Und du bist vollkommen verrückt.«
»Nur weil du dich für emanzipiert hältst, könntest du trotzdem langsam mal deinen Trieben folgen.«
»Bezahlt dich irgendeine Sekte?«
»Nein. Nur das Leben.«
Tom war mir ein Rätsel, ich begriff einfach nicht, was er von mir wollte, und außerdem fand ich es sowieso unangebracht, mit ihm über solche Dinge zu reden. Schließlich war er weder mein Ehemann noch mein Freund, geschweige denn mein Dauerlover.
Ich hob hilflos die Schultern und sagte: »Wenn du soviel von den menschlichen Trieben hältst, warum hast du dann nicht deine Rita geschwängert?«
»Weil sie keine Kinder kriegen kann.«
»Noch einmal randvoll, bitte.« Ich hielt Tom mein Glas hin und wußte nicht, was ich denn mit Ritas gynäkologischen Problemen zu schaffen hatte. Wahrscheinlich fand Tom mich undankbar oder weiß der Himmel was, aber ich war doch keine Ersatzgebärmaschine! Und Toms schon gar nicht. Ich kippte den Sekt runter und sagte lahm: »Weiß auch nicht, ob ich fruchtbar bin.«
Damit hielt ich das Thema für erledigt, und noch bevor Tom wieder irgend etwas Blödsinniges anbringen konnte, ging ich raus, indem ich mich mit einem Haufen Arbeit entschuldigte.
In meinem Zimmer hatte ich allerdings Besseres zu tun: Ich schlug das Telefonbuch unter »B« auf, »B« wie Behrent mit »t«. Fand seinen Namen schneller als gedacht, und dann hatte ich auch schon den Hörer in der Hand, wählte. Unbändiges Herzklopfen! Als Jan sich meldete, traf mich seine Stimme wie ein Stromschlag. »Hallodri« schoß es mir durch den Kopf. Schnell legte ich auf und spürte meinem Herzschlag wie den Ausläufern eines Erdbebens nach. Immerhin war er zu Hause.
Schluß. Aus. Ich würde mich nie wieder bei ihm melden.
An den darauffolgenden Tagen war wieder Ödnis pur angesagt. Die Schöpfer der Wittgenstein-Saga hielten es offenbar nicht für nötig, mal von sich hören zu lassen, also konnte ich mich ruhigen Gewissens der restlichen, längst überfälligen Kassetten des Florida-Clans annehmen.
Außer daß sich eine neue Hitzewelle ankündigte, passierte rein gar nichts in meinem Leben, und ich überlegte schon, ob ich mir nicht irgendwo einen Samenspender aufgabeln sollte, um ein Kind anzusetzen – vielleicht wäre das die Lösung aller Probleme. Keine Leere mehr im Bauch; den generösen Spender würde man spätestens nach der Geburt ad acta legen, und Tom hatte endlich die Bestätigung seiner Triebtheorie. Oder lieber doch nur verreisen? Das kam letztendlich billiger als ein Kind. Flughäfen, Bahnhöfe und schöne Hotels samt ihren erotischen Cafés – wenn schon im Bett tote Hose war …
Vielleicht wurde ich langsam verrückt, aber ich konnte den Sommer einfach nicht mehr
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