Lipstick
ertragen. Alles langweilte mich. Ich wollte einen Kick, den ultimativen! Mir reichte es nicht, einen Butler zu haben, der mir Tee kochte und die Strumpfhosen wegräumte, hin und wieder ein Date mit einer Kollegin aus meiner Synchronfirma auszumachen, dazu der tägliche Gang in den Supermarkt. Zum Glück hatte ich wenigstens Greta und ihr Minimodell, die es immerhin fertigbrachten, mich mit einer ernstgemeinten Herzlichkeit in den Arm zu nehmen.
Nach ein paar tristen Tagen beschloß ich, daß es so nicht mehr weitergehen könne und ich mich eben mit Kicks der kleineren Art über Wasser halten mußte. Also freute ich mich fortan über einen gut gefüllten Kühlschrank, über kalte Duschen und die Nachbarn von oben, die mir auf dem Kopf herumtrampelten. Ich aß Kirsch-Joghurt-Eis bis zum Abwinken, kochte Spaghetti aglio e olio, die ich auf dem Balkon mit einem 91er Brunello runterspülte, ich träumte mich durch verschiedene Reiseprospekte und Kochbücher und fuhr mit Vorliebe U-Bahn, weil die U-Bahn ja bekanntlich ein Ort ist, an dem angeblich die unglaublichsten Dinge passieren.
Der eigentliche Kick ereignete sich erst ganze vierzehn Tage später.Das heißt, im Prinzip war auch das kein richtiger Kick, eher ein Appetizer, aber er haute mich trotzdem dermaßen um, daß ich mich für den Rest des Tages in der Toilette einschließen mußte. Dort studierte ich dann in langen Stunden die Postkarte Nummer zwei. Ein Pudel mit rotem Schleifchen, auf der Rückseite stand geschrieben: »Ich erwarte dich am 19. August, 15 Uhr, in der ›A Brasileira‹, Lissabon. Herzlich: Dein Jan.«
Ich hätte die Karte zerreißen und im Klo runterspülen sollen. Ich hätte dem Ganzen überhaupt keine Bedeutung beimessen dürfen. Niemals! Aber so sehr ich mich auch anstrengte, ich schaffte es einfach nicht, mich von diesen paar idiotischen Wörtern zu lösen. Im Gegenteil: Sie brachten meinen Hormonhaushalt komplett durcheinander, und das, obwohl dieser Typ doch einfach nur einen Knall hatte. Wie konnte er es wagen, mich nach Lissabon zu bestellen? Was sollte ich dort? Mich wieder von ihm abservieren lassen? Oder mir anhören, wie göttlich seine Frau war?
Ich rief Greta an und bat sie um freundschaftlichen Beistand, aber sie unterstellte mir nur, ich würde mir die Sache mit der Karte bestimmt einbilden, und riet mir, dringend einen Psychiater aufzusuchen.
»Ich bin nicht derart eingebildet, daß ich mir so etwas einbilde«, sagte ich beleidigt und schaute noch am selben Tag bei ihr vorbei, um ihr das Dokument zu zeigen.
»Dann braucht dein Kartenschreiber eben einen Psychiater«, war ihr lakonischer Kommentar.
»Kann schon sein. Aber was mache ich jetzt bloß?«
»Nichts natürlich. Vielleicht stellt sich noch raus, daß er ein Psychopath ist, ein Massenmörder, der seine Opfer immer an die unmöglichsten Orte lockt, um sie dort niederzumetzeln.«
Die Art, in der Greta reagierte, ärgerte mich. Vielleicht war eine Portion Neid dabei, womöglich hätte sie auch gern einen durchgedrehten Jan-Verehrer mit seinen Postkarten gehabt. Also verhielt ich mich, wie ich mich schon als Fünfjährige verhalten hatte, nämlich trotzig, und marschierte auf direktem Weg ins nächste Reisebüro, wo ich einen Flug nach Lissabon buchte. Als ich wieder rauskam, kriegte ich es tatsächlich mit der Angst zu tun. Ichflog also wegen eines Mannes nach Lissabon, der sich vielleicht nur einen üblen Scherz mit mir erlaubte. Aber egal. Schließlich war ich alt genug, um mir auch so ein paar schöne Tage in einer schönen, fremden Stadt zu machen, zumal ich sowieso mit dem Gedanken geliebäugelt hatte zu verreisen.
Am Nachmittag rief ich meinen Synchronchef Lennart an, der – wie ich wußte – ein Faible für Lissabon hatte.
»Kommst du bald mit den Büchern rüber?« polterte er los, bevor ich überhaupt etwas sagen konnte.
»Morgen. Versprochen.« Ich weiß, es war ein ungeschickter Ubergang, aber ich fragte ihn trotzdem im nächsten Atemzug, ob er mir nicht eine Unterkunft in Lissabon empfehlen könnte.
»Fährst du weg? Wir brauchen dich für mindestens zwei weitere Folgen!«
»Nur ein paar Tage. Die Kassetten mache ich dir trotzdem fertig. Ist doch Ehrensache.«
Lennart war einigermaßen ruhiggestellt und nannte mir eine kleine, aber – wie er meinte – bezaubernde Pension auf einem der Hügel der Stadt.
»Du kannst allerdings nicht vorher reservieren. Wenn du am Flughafen ankommst, rufst du am besten dort an.«
»Danke.«
»Es wird schon
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