Lipstick
klar darüber, daß es mich am meisten ärgerte, um eine vielleicht gute Nummer betrogen worden zu sein.
Zur Abkühlung bestellte ich eine Cola. Ich wollte alle Sinne beieinander haben, wenn ich überlegte, was in welcher Reihenfolge zu tun war. Erst die Sachen packen, zum Flughafen fahren und dann den nächsten Flieger nehmen? Oder erst den Flugplan abfragen und danach die Sachen aus der Pension holen? Oder einfach hierbleiben, ein paar Tage ausspannen und schließlich frisch erholt zurück nach Hamburg fliegen?Vielleicht war letzteres wirklich das beste. Warum eines ekelhaften Kerls wegen fluchtartig die Stadt verlassen? Etwas schwankend stand ich auf, zahlte und mühte mich ab, die vielen Stufen zur Pension hochzukriechen. Als ich den winzigen Vorraum, genannt Rezeption, betrat, wurden meine Knie noch weicher, als sie es sowieso schon waren: Jan saß auf dem abgeschabten roten Plüschsofa und winkte mir freundlich zu.
Er kam mir einfach in mein Zimmer nach, ohne daß ich ihn in irgendeiner Weise dazu aufgefordert hätte.
Ich tat, als sei er eine Tüte voll Luft, ging ins Badezimmer, um mir die Zähne zu putzen. Er folgte mir und umfaßte mich von hinten. Ich überlegte eine Sekunde, aber die Gier kam so plötzlich, daß ich mir nicht mal die Zeit nahm, meinen Mund auszuspülen. Küßten wir uns eben mit Zahnpasta und den Resten meines Lippenstiftes. Ich schmeckte Jan trotzdem, ich riß ihm das dünngewebte weiße Baumwollhemd vom Leib, die Zahnbürste landete irgendwo neben uns auf dem Fußboden. Am schwierigsten war es, mich meiner Spangenschuhe zu entledigen, ich hatte nämlich mit Jans Lippen ein Abkommen und konnte nicht runterlangen, ihm gelang es ebenfalls nicht, was dazu führte, daß ich nach einer Weile splitterfasernackt und nur mit Schuhen an den Füßen irgendwo zwischen Bett und Kommode auf dem Fußboden kauerte.
Der Rest war alles, was ich die letzten neununzwanzig Jahre meines Lebens vermißt hatte. Engel und Teufel kochten Hand in Hand Cappuccino im Himmel, und während sich die einen mit dem Milchaufschäumen abmühten und die anderen mit den Tassen klappernd unanständige Lieder sangen, lachte sich die Wolkenmafia eins ins Fäustchen, weil ihr noch nie ein derart perfekter Cappuccino kredenzt worden war.
Wir erwachten erst spät und wie aus einer Art Koma. Draußen war es längst dunkel, und in meinem Magen war die Revolution ausgebrochen. Es grummelte und rumorte so laut, daß Jan liebevoll sein Ohr auf meinen Bauch legte und dabei nicht aufhörte, meine Brüste zu streicheln.
»Ruhe, da drin!« herrschte er meinen Bauch an. Dann lächelte er zu mir hoch, vollkommen entspannt.
In diesem Moment glaubte ich ihm alles. Daß Liebe genau das war und nichts anderes. Ich glaubte ihm, daß ich gemeint war und nicht die Vorstellung, die er sich von mir machte. Es hatte uns beide erwischt, und alles, was er sonst noch auf diesem Erdball vögelte, interessierte mich nicht.
»Glaubst du, daß es noch einmal so sein kann?« fragte Jan. Während die eine Hand unverändert auf meiner Brust lag, streichelte er mit der anderen die Innenseiten meiner Oberschenkel.
»Klingt ja ziemlich desillusioniert.«
»Ich habe nur manchmal Angst, daß mir der Augenblick zu schnell davonläuft.«
»Aber bleibt er nicht in deinem Kopf?«
»Doch, aber die einzelnen Dateien auf einer riesigen Computerfestplatte sind nicht die Wirklichkeit.«
Ich richtete mich auf und sah auf Jan herab. Seine schmale Brust mit den paar mickrigen Haaren, ich liebte diesen Körper, ohne ihn eigentlich besonders zu mögen. Tom war anders, leicht muskulös, samtig und in seiner Perfektion schon fast langweilig.
»He, komm, wir haben noch unser ganzes Leben vor uns!«
»Ja.« Jan hob seinen Kopf, um mich zu küssen, was nicht folgenlos blieb.
»Willst du …?«
Es war keine Frage des Wollens, sondern eine des Müssens, und so brachten wir uns um ein vernünftiges Abendessen.
In Lissabon frühstücken zu gehen ist ähnlich einfach wie in Italien, Frankreich oder Spanien. Ein süßes Teilchen auf die Hand, dazu einen Galão, fertig ist man und rundherum zufrieden.
Vor Muskelkater war ich kaum die Treppen runtergekommen, aber dann saßen wir doch irgendwann im »Nicola« und schmachteten uns mit Schmachtblicken an, die eigentlich nur in ein doppelt abgeschlossenes Hotelzimmer gehörten. Vielleicht ist es das Drama des Lebens, daß man sich zumindest einmal richtig verliebt.
»Ich könnte jetzt …«, sagte Jan, und ich sagte, daß ich
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