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Lipstick

Lipstick

Titel: Lipstick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fuelscher
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glücklich aus, ich war neunundzwanzig Jahre alt und spürte erstmals so ein verrücktes Pochen in meiner Brustgegend. Gleichzeitig überkam mich die Angst, daß mich meine Gefühle täuschen könnten – so heftig, wie sie von mir Beschlag genommen hatten. Was, wenn alles nur ein Joke war, eine Seifenblase, die früher oder später zerplatzte? Ich kannte Jan nicht gut genug, um ihn richtig einzuschätzen, vielleicht schmierte er mir auch nur Honig um den Mund. Heiße Luft statt echter Emotionen. Aber eigentlich wollte ich so etwas gar nicht denken. Warum auch? Immerhin schien die Sonne nicht nur, um einen Haufen Menschen auf dieser Welt bei Laune zu halten, sondern sie hatte sich eigens für uns, für das Traumpaar des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, ins Zeug gelegt. Morgens, wenn ich auf die Terrasse der Pension trat, hielt sie sich zwar noch im Smogdunst versteckt, aber sie wartete nur darauf, daß Jan und ich händchenhaltend die vielen Stufen in die Stadt hinabstiegen, um irgendwo im Stehen einen Café com leite zu trinken.
    In den paar Tagen, die wir zusammen waren, entwickelten wir uns zu Egoisten der übelsten Sorte: Wir beanspruchten sämtliche Straßen der Stadt, inklusive ihrer vielfältigen Gerüche, alle Cafés gehörten uns und besonders natürlich die »A Brasileira«. Der Barmann schäumte nur für uns die Milch auf, er wählte extra den besten Kaffee, und er klapperte auch nur mit den Tellern, damit die Atmosphäre stimmte. Wir waren verrückt. Gierig und unersättlich. Es gab keinen Tag und keine Nacht – es gab nur uns.
    Sex und zwischendurch ein bißchen Nahrung aufnehmen – so hätte Greta unseren Kurztrip vermutlich auf den Punkt gebracht und sich über mein verblendetes Geschwafel kaputtgelacht. SolcheGedanken kamen in einigen lichten Momenten, aber die waren so selten, daß ich sie an einer Hand hätte abzählen können. Ansonsten waren wir Meister im Verdrängen. Die Wörter Katharina, Kinder, Arbeit und Deutschland fielen einfach nicht, wir erstellten in den zweieinhalb Tagen Lissabon einfach ein völlig neues Vokabular. Ein paar portugiesische Brocken, dazu jede Menge Neuerfindungen, Bezeichnungen für Geschlechtsorgane, Stellungen und sexuelle Handlungen im allgemeinen, dazu reduzierten wir den Duden auf maximal fünfzig Wörter – mit denen kamen wir locker aus, um uns mitzuteilen, was notwendig war. Nannte man so was Liebe? Oder einfach nur Idiotie?
    Jan rief nicht mal bei sich zu Hause an, ich tat es einmal. Mittwoch abend, sieben Uhr. Mit großer Wahrscheinlichkeit war Tom jetzt beim Badminton, er würde es also nicht mitbekommen, wenn ich den Anrufbeantworter in meinem Zimmer abhörte: Hans hatte Opernkarten besorgt, Greta stammelte nur den Halbsatz »Bist du wirklich …?«, dann meine Mutter mit der Nachricht, daß Tante Britt gestorben sei. Ich ließ den Hörer sinken, wußte, daß unser Ausbruch aus Raum und Zeit gerade zu Ende gegangen war.
    Unser Flug ging erst zwölf Stunden später, aber der Zauber der Stadt war auf einmal dahin. Es schien mir, als gondelten mehr Autos als noch vor ein paar Stunden durch die Straßen, lärmende Mopeds, krakeelende Menschen, und die Sonne hatte sich hinter dicken, stinkenden Wolken verkrochen. Dazu blies uns ein kühler Wind ins Gesicht. Ich hatte eine Gänsehaut und Jan Tränen in den Augen. Wegen uns. Ich auch. Und wegen Tante Britt.
    Jan meinte, mit einundneunzig habe man sich seinen Tod doch redlich verdient.
    »Hat man auch«, sagte ich und mußte jetzt richtig weinen.
    Der eigentliche Grund war ein anderer. Seit über einem Jahr hatte ich Tante Britt versprochen, sie zu besuchen – damals, auf der Beerdigung ihres Mannes. Und passiert war es nie. Ein Termin hatte den anderen gejagt, Job und Privates, tausendundeine Ausrede – jetzt verachtete ich mich dafür.
    Jan nahm mich einfach nur in den Arm und sagte nichts.
    Im Flugzeug saßen wir stumm nebeneinander.
    Wir waren mit einer Stunde Verspätung gestartet, lange Minuten, in denen mir klar wurde, daß es vielleicht nie wieder so sein würde. Unsere Begegnung war schon im Moment des Umbuchens zu einem Stück Geschichte geworden. Ich würde mir das Flugticket ins Fotoalbum kleben können, daneben eine leere Kondomschachtel, und eines Tages würde ich denken, mein Gott, du bist mal jung gewesen, es hat eine Zeit gegeben, in der deine Libido in ihrem Zenit stand, und diesen Kerl damals, den hast du wirklich geliebt.
    Oder doch anders? Das war dein Körper, der dir da irgend etwas

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