Lipstick
Kopfleerte sich von Minute zu Minute zusehends. Gut, ich wußte noch, wie ich hieß und wen ich gleich treffen würde, aber alles, was ich mir für meinen Lebenslauf zurechtgelegt hatte, verschwamm in einer diffusen Geilheit.
O Mann!
Der Typ, dem ich dann gegenübersaß, war tatsächlich ein Mann. Einer, der aussah, als würde er lieber Schafe hüten, als Fernsehserien zu produzieren.
Ich hatte neben mir gestanden, die Beine ineinander verschraubt, auf seinen Filzhut gestarrt, Halbsätze gestammelt, obwohl ich sonst durchaus in der Lage war, ein ordentliches Gebilde mit Subjekt, Prädikat, Objekt zusammenzubasteln, ich hatte meine Hände in den Schoß gelegt, ein Riesenfoto mit Schauspielern studiert, die Jahr für Jahr mein Wohnzimmer bevölkerten und mir vorhin schon in der Kantine und auf den Gängen über den Weg gelaufen waren, ich hatte Jan vor mir gesehen, wie er mit aufgerichtetem Schwanz vor mir hockte, mir war in den Sinn gekommen, daß ich Lust auf Milchkaffee hatte, nicht auf das stille Wasser, an dem ich gerade nippte, immer wieder, weil meine Lippen von Sekunde zu Sekunde trockener wurden, ich hatte auf Fragen geantwortet, schematisch und ohne Herz, ich hatte an Hans gedacht, der beim Kirschstreusel zuerst die Kirschen herausklaubte, bevor er den Rest des Kuchens mit beiden Händen wie eine Stulle aß, und an meinen Computer, der bald seinen Geist aufgebenwürde, ich hatte behauptet, nichts anderes zu wollen, als bei dieser Serie mein Herzblut zu lassen, daraufhin zweifelnde Blicke geerntet und vergeblich auf ein Lächeln gewartet, man suche eigentlich einen Mann, einen Quotenmann, Frauen sind gefährlich, besonders, wenn sie jung und attraktiv sind, ich hatte das linke Bein über das rechte Bein geschlagen, mich ein Stück nach vorn gebeugt und die Augen hinter der Tropfenbrille fixiert, was wollte man eigentlich von mir, ich hatte noch einmal die Beinhaltung verändert, jetzt das rechte über das linke geschlagen, es wäre die Sache nicht wert gewesen, mit Krampfadern aus der Schlacht zu gehen, und dennoch, obwohl ich eine Frau war und jung dazu, hatte er mir ein Probebuch angeboten, tausend Mark Aufwandsentschädigung, ich hatte Jan vor mir gesehen, wie er gekommen war, seine Stirn war dabei in Falten gelegt, und hinterher hatte er gelacht, kaum eine Sekunde der Entspannung gebraucht, mich statt dessen mit neuer Lust und Liebe überfallen, ja, in Ordnung, hatte ich gesagt, eine Woche Zeit zum Schreiben, kein Problem, der Schäfer lächelte immer noch nicht, ich schob das auf die Anatomie seines Gesichtes, oder sah ich vielleicht derart ekelerregend aus, daß er einfach nicht lächeln konnte, fieberhaft überlegte ich, ob da heute morgen vielleicht riesige Pickel in meinem Gesicht gewesen waren oder hatten sich während der Bahnfahrt Fettsträhnen in mein Haar geschummelt, was war mit mir, oder was war mit diesem Mann, Sie hören von uns, und soll ich Ihnen ein Taxi rufen, draußen auf dem Gang hatte es nach Zahnarzt gerochen, halb verdurstet war ich bis zur Pförtnerloge getaumelt, um dann in einen herbstlichen Wind abzutauchen.
Ich dachte: Wenn du schon tausend Mark außer der Reihe verdienst, kannst du auch ruhig ein bißchen shoppen gehen. Was Münchner Geschäfte betraf, kannte ich mich nicht besonders gut aus, also fuhr ich wie jeder andere Tourist auch zum Marienplatz, wo ich mich durch ein paar mittelprächtige Geschäfte arbeitete, bevor ich im Erdgeschoß bei »Beck« eine englische, leicht zitronig duftende Seife erstand, nach oben in die dritte Etage fuhr, um mir ein paar Dirndl aus nächster Nähe anzusehen und dann,eine Etage hölier, bei den mittelteuren Designern einen Haufen Geld loszuwerden.
Es machte mir Spaß, jedes Stück durch die Finger gleiten zu lassen, und das in dem Bewußtsein, etwas wirklich Großes geleistet zu haben (dabei hatte ich mir nur anhören müssen, was für ein Nachteil es doch sei, weiblich, norddeutsch und knapp unter dreißig zu sein), und als ich kurz darauf mit einem ganzen Stapel Klamotten in der Kabine verschwand, versprach ich meinem leicht lädierten Selbstbewußtsein, daß ich es schon auf Trab bringen würde. Dafür war mir kein Trick zu schade.
Vor dem Spiegel zu stehen und zu beobachten, was für neue Wesen mit jedem Kleidungsstück wie eine schaumgeborene Venus dem Nichts entstiegen, machte alles wett. Ich wollte jedes einzelne Teil kaufen: den kurzen schwarzen Rippenpulli, ein dunkelgrünes Kleid, knöchellang und ziemlich teuer, zu guter
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