Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lipstick

Lipstick

Titel: Lipstick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fuelscher
Vom Netzwerk:
immer noch nichts von sich hören, also ackerte ich mich weiterhin mit zusammengebissenen Zähnen durch die Rohübersetzungen idiotischer amerikanischer Serien, vertilgte mit Tom Bohnen-, Erbsen- und Linseneintöpfe aus der Dose und schaute jeden Morgen im Briefkasten nach, wo zu meiner Enttäuschung nie etwas Erwähnenswertes zu finden war.
    Ich dachte an Tante Britt, die alles daran gesetzt hatte, ihre große Liebe zu heiraten – mit Erfolg. Und was tat ich? Nichts, was soeiner Zielstrebigkeit das Wasser hätte reichen können. Ich nahm zwei oder drei Kilo zu und beriet Greta hinsichtlich der Gestaltung ihres weiteren Lebens, das sie zumindest ohne einen Fötus in ihrem Bauch führen durfte. Ansonsten war mein Leben nur hohl und ohne jeglichen Pep. Im Spiegel blickte mir ein miesepetriges Bleichgesicht entgegen, und nachts, wenn ich im Dunkeln lag, schrie mein Körper nach Jan. Eigentlich hätte er sich wenigstens mal melden können, ein kleines Dankeschön dafür, daß ich nach Lissabon gejettet war.
    Um wenigstens überhaupt etwas gegen die innere Leere zu tun, beging ich zwei Fehler, von denen zumindest der eine nie wieder rückgängig zu machen war.
    Hans sah von weitem wie eine halbe Portion aus. Ich meine, es war von nahem auch nicht viel anders, aber aus einiger Entfernung fiel besonders auf, wie hager er war. Schlaksig wie Jan, dabei kleiner und schmalschultriger. Was fand ich eigentlich an Männern, bei denen jede Rippe einzeln hervorstach?
    Aber ich wollte ja nichts von Hans. Ich brauchte nur ein wenig Gesellschaft, und da Paul mit seiner neuen Affäre – einer Kunststudentin, die vorzugsweise Objekte aus Haushaltsmüll kreierte – nach New York geflogen war, kam es mir gerade recht, daß Hans mich wieder und wieder anrief. Immerhin hatte sich der Anrufbeantworter mittlerweile an seine Stimme gewöhnt, so daß man mit Fug und Recht behaupten konnte, daß Hans eigentlich schon zur Familie gehörte.
    Wir gingen also auf der Fruchtallee aufeinander zu, Autos rauschten vorbei, und daß der Herbst sich hinterrücks eingeschlichen hatte, machte mir fast nichts aus. Die Blätter der Bäume waren gefallen, ohne daß sie auch nur einen einzigen Tag dieses gelbe Leuchten inszeniert hätten, und jetzt lagen sie bereits als bräunlicher Matsch auf dem Boden, in seliger Eintracht mit frisch aufgeplatzten, glänzenden Kastanien. Es nieselte und stürmte, so daß ein Sprühregen mein Gesicht bestäubte und ich nur wie durch einen Schleier wahrnahm, daß Hans wieder seine Gymnasiastenkapuze aufgesetzt hatte.
    »Hi.« Hans hob Zeige- und Mittelfinger zum Victory-Zeichen.
    »Tag. Warum wartest du nicht zu Hause? Ich finde deine Bude schon.«
    »Ja, ich weiß.« Hans zog seine Schultern hoch und kaute angestrengt auf einem Kaugummi herum, das ein künstliches Kirscharoma verbreitete. »Aber der Kuchen ist dort am besten.« Er zeigte mit seinem handlosen Riesenärmel auf die andere Straßenseite, wo sich ein einfaches Oma-Café befand.
    »Okay. Wie du meinst.«
    Manchmal, wenn ich Hans ansah, dachte ich, es könnte auch Ralf Witthusen sein – was machte es eigentlich für einen Unterschied.
    Der zweite entscheidende Fehler war, daß ich mich bei einer der bekanntesten deutschsprachigen Fernsehserien bewarb und ganz gegen meine Erwartung bereits zwei Tage später eine Einladung nach München im Briefkasten hatte.
    Auch das ist okay, sagte ich mir, dein Leben geht sonderbare Wege. Ich hatte nicht mit Hans geschlafen, nur passend zum Kirschkaugummi Kirschstreuselkuchen gegessen, ein bißchen gelacht, und dann waren wir haarscharf an der Abzweigung, die direkt ins Schlafzimmer führte, vorbeigeschlittert. Natürlich war mir die ganze Zeit über klar gewesen, was Sache war, ich hätte nur mit dem Finger zu schnippen brauchen, und obwohl ich selbst auch nichts gegen ein kleines Techtelmechtel einzuwenden gehabt hätte, fand ich es abgeschmackt, von Lavazza oro auf Jakobs koffeinfrei umzusteigen, nur weil der Lavazza gerade ausgegangen war. Immerhin hatten wir uns auf eine Art der Konversation geeinigt: knallhartes Diskutieren über neutrale Themen wie den Fettgehalt in Chips, die Rechtschreibreform und Geldanlagen. Darüber hinaus gefiel mir seine Wohnung, eine stilvolle Mischung aus Antik und Modern, was ich ihm, dem Kapuzenmann, niemals zugetraut hätte. Genausowenig wie die Liebeserklärung, die er mir als Wegzehrung mitgab, als ich bereits in Hut und Mantel unter seinem Jugendstilkronleuchter auf dem Flur stand.
    Und da

Weitere Kostenlose Bücher