Lipstick
Schweigepause.
»Katja kommt gleich …Bad.«
Es war wunderbar, und ich war so wunderbar gemein. Ich stellte mir Toms linkische Bewegungen vor – wenn er unsicher war, fuchtelte er immer unkontrolliert mit den Händen in der Luft herum –, und ganz bestimmt verkroch sich Hans aus lauter Verlegenheit in seiner Kapuze. Warum nicht die Situation noch ein wenig auskosten? Ich kramte meinen Lippenstift aus der Tasche – heute rosabraun –, um meine Lippen noch einmal nachzuziehen. Draußen ging die Unterhaltung derweil weiter.
»Ja, willst du solange in der Küche warten?«
»Mach dir keine Umstände.«
»Was zu trinken?«
»Nein danke. Bitte keine Umstände.«
Die pure Häme kroch in mir hoch, während ich auch noch meine ganze Kosmetiktasche auspackte, um ein paar völlig überflüssige Korrekturen in meinem Gesicht vorzunehmen.
Ja, so eine amerikanische Teenie-Serie hatte ich auch mal synchronisiert! Die Eltern empfingen den rausgeputzten Collegeboy, der die sich gerade noch rausputzende Tochter zum Abschlußball ausführen durfte, und während das Mädchen im Obergeschoß des Hauses unentwegt mit Ondulieren, Bepinseln und Aufrüschen beschäftigt war, saß der wirklich adrette Collegeboy steif im Wohnzimmer, parlierte mit den Eltern, und dann endlich rauschte die Mini-Diva in einem pastellfarbenen Rüschenensemble die Treppe runter, ein Ah! und Oh! ging durch die Menge (Vater, Mutter, Collegeboy), und nachdem sich alle lieb voneinander verabschiedet hatten, beglückwünschten sich die Eltern, daß ihre Tochter später im Auto von einem so liebreizenden Collegeboy gevögelt wurde. Seufz …
Gut, okay, würde ich Daddy Tom mal erlösen.
Natürlich ging kein Raunen durch die Menge, als ich aus dem Bad gerauscht kam. Tom verzog sich in Null Komma nichts nach nebenan, während ich dastand und Hans mit offenem Mund anstarrte. Die Kapuze war keine Kapuze mehr, sondern ein ziemlich attraktiver Mann in einem legeren anthrazitfarbenen Anzug ohne Schulterpolster, zwar kein smarter College-Sonnyboy, aber immerhin ein Mann, der den Kopf nicht hängenließ und einen eher eleganten als unauffälligen Eindruck machte.
»Was ist denn mit dir passiert?« fragte ich taktloserweise.
Hans war sichtlich verlegen und erzählte stockend, daß er sich bei seiner letzten Italienreise einen Anzug zugelegt habe, man sei ja schließlich im gewissen Alter.
O ja.
»Du siehst großartig aus.« Hans kam auf mich zu, nahm meine Hand, hob sie ein wenig, sah aber in letzter Sekunde von einem Handkuß ab.
Ich drückte ihm ein Küßchen auf die linke Mundecke und bugsierte ihn nach draußen.
Der Italiener war gut und teuer und unser Outfit durchaus angemessen. Ich trank ein paar Schlucke Vernaccia und fand Hans auf einmal ganz prima. Unterhaltsam und lustig, ein Mann, der keine billigen Komplimente vom Stapel ließ. Und überhaupt – was war an einem wie Jan nun so viel besser? Wechselnde Augenfarbe und Narbe auf der Stirn? Lange Nase? Sex? Lauter Fragezeichen.
Ehrlich gesagt, konnte ich mich nicht mehr im Detail erinnern, was zwischen Hans und mir gelaufen war. Einmal mit ihm im Auto – ein bißchen mager gegen all die scharfen Sachen, die ich mit Jan angestellt hatte: deutsche Bundesbahnsitze, Lissaboner Pensionsbetten und Toiletten, Hamburger Telefonhörer, das häusliche Bett. Vielleicht war das auch alles mit Hans möglich, wer konnte denn schon ahnen, was in einem Mann steckte, der zwischen Kapuze und Gentleman pendelte?
Hans sah mich schräg über seinen Ruccolasalat hinweg an.
Er hätte Lust, meinte er, während er mit seiner Gabel nach einemSalatblatt angelte und gleichzeitig mit äußerster Geschicklichkeit einen Span Parmesan aufspießte, mich auf seine nächste Italienreise mitzunehmen, sofern ich natürlich wolle und ungebunden sei … Dabei errötete er leicht und schickte schnell hinterher, nicht daß ich jetzt denken würde, er wolle mich kaufen oder so, nur müsse ich eben für mich entscheiden, ob das ging …
Ob das ging. Ich spülte den teuren Wein nur so runter, was wahrscheinlich ein ungehöriges Benehmen war – zumindest in dieser Kategorie Restaurant –, und überlegte währenddessen, ob ich nun ungebunden war oder nicht.
Eigentlich war ich schon gebunden. Ich hing an meiner Cappuccinomaschine, ich liebte es, wenn Tom sich dazu herabließ, meine Hemden zu bügeln, ich war an diese Stadt gebunden und an einen Kerl, mit dem ich wieder mal liebend gern telefonisch verkehrt hätte.
Aber was hatte das eine
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