Lipstick
Sinn hat.«
»Warum bist du so aggressiv?«
»Nicht mal in Italien hat man seine Ruhe vor dir«, schimpfte ich, mußte aber im gleichen Moment lachen.
Jan umarmte mich. »Warum warst du so zu mir?« flüsterte er in mein Ohr.
»Wie war ich denn?« Ich machte mich los, lief ein paar Meter vor zum Eingang des Cafés. »Drinnen oder draußen?«
»Drinnen«, sagte Jan.
»Draußen«, entgegnete ich trotzig.
»Warum denn? Draußen ist es zu kalt, und der ganze Charme des Cafés ist hin.«
»Ja eben!«
Natürlich gingen wir rein. Im Grunde machte es mir natürlich nicht viel aus, in diesem wunderbaren Café zu sitzen, aber ich hatte mir gerade vorgenommen, mein Leben neu zu ordnen, und jetzt funkte wieder dieser Hallodri dazwischen.
»Willst du was essen?« fragte Jan.
»Kein Appetit.«
»Ach – auf einmal nicht mehr?«
Ich antwortete nicht, schnippte statt dessen in Jan-Manier nach dem Kellner und bestellte Cappuccino und Wasser für uns beide.
»Wie lange hast du Zeit?« fragte Jan.
Ich zuckte die Achseln, sagte nichts von den neun Stunden, die schon zu einem Drittel aufgebraucht waren.
»Dein ewiges Hin und Her hat mir gestunken.« Ich guckte schräg hinter mich an die Wand, wo ein eingerahmtes Schwarzweißfoto hing. Fünfziger Jahre, eine Horde Italiener pfiff einer schönen Frau nach, die erhobenen Hauptes weiterging.
Jan nahm einfach nur meine Hand, machte aber keine Anstalten, irgend etwas zu erwidern.
Aber was sollte er auch schon groß sagen? Im Grunde wußte ich ja alles. Katharina, die Kinder – die alte Leier. Und wollte ich ihn denn überhaupt mit Haut und Haaren und Bartstoppeln imWaschbecken, mit Mundgeruch am Morgen und manchmal fettigen Haaren? Wer weiß, was für üble Angewohnheiten er beim Frühstück hatte, vielleicht sah er wie Tom nicht von seiner Zeitung auf, oder er kratzte sich in tieferen Regionen, während er seiner Frau Kaffee einschenkte – falls er so etwas überhaupt tat –, vielleicht hatte er manchmal auch ungewaschene Ohren …
Ich schaute ihn an, versuchte zum hundertsten Mal rauszukriegen, was ihn so anziehend machte. Sein Beruf interessierte mich nicht, seine Familienverhältnisse waren verbaut, er war nicht schön und brillant, nur groß und schlaksig, und allein der Sex konnte es ja wohl auch nicht sein. Das Verlangen verfliegt, warte nur mal ein paar Jahre ab, dann setzt sich mein Sex in einen Airbus und düst gen Süden, während sein Sex in einer anderen Maschine zum Nordpol unterwegs ist.
Sex. Ich dachte schon wieder daran, auch wenn ich es mir strikt untersagt hatte. Und hoffentlich waren nicht schon wieder so rosarote Herzchen in meinen Augen. Ich wollte ihn nicht anmachen. Ich wollte ganz cool sein und Italienerin mit erhobenem Haupt spielen, was mir bereits nach dem zweiten Cappuccino nicht mehr gelang. Mein Herz flatterte, immer noch hatte ich nichts gegessen, und da das meinem Magen langsam auch auffiel, begann ich, ersatzweise an Jans Mund herumzuknabbern.
»Hast du keinen Termin mehr?« fragte ich, ohne meinen Mund von seinen Lippen zu lassen.
»Nein. Gehst du heute abend mit mir essen?«
»Geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Gesellschaftliche Verpflichtungen.« Dreist legte ich meine Hand auf Jans Bein.
»Und morgen?«
»Ich weiß nicht.«
Wir hörten eine Weile mit dem Küssen auf, weil schon eine Touristengruppe zu uns rübersah. Statt dessen näherte sich Jans Mund meinem Ohr.
»Ich habe ein Zimmer in Siena. Eine knappe Stunde, wenn wir uns beeilen.«
»Soll das ein Angebot sein?«
Jan grinste diabolisch.
»Hans holt mich gegen sieben an der Porta Romana ab.«
»Schaffen wir locker.«
Ich nickte nur knapp, wir zahlten in Windeseile, hetzten dann zu Jans Auto, das er am Bahnhof geparkt hatte. Während ich mich auf den Beifahrersitz sinken ließ, fiel mir ein, daß ich noch nie längere Strecken mit Jan gefahren war. Eigentlich hatte ich überhaupt erst einmal in seinem Auto gesessen, purer Zufall, ich war auf dem Weg in die Stadt gewesen, als Jan vorbeigegondelt war und mich aufgesammelt hatte. Jetzt erinnerte ich mich auch daran, daß mir sein Fahrstil schon damals sehr merkwürdig vorgekommen war. Jan hatte das Auto hektisch durch den Verkehr gelenkt und sich am Lenkrad festgeklammert, wobei er mit der Nase fast an die Windschutzscheibe gestoßen war.
Aber hier in Italien war alles noch viel schlimmer. Jan schwitzte, schaute permanent in den Rückspiegel, und einmal fuhr er so dicht auf, daß ich dachte, gut, das war’s jetzt.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher