Lipstick
oder Tom zu tun, und eigentlich blieb nur ein einziges schwarzes Kleid übrig, das sozusagen in die Prä-Zeit aller genannten Männer fiel und deshalb zumindest in dieser Hinsicht okay war. Als ich es jedoch anprobierte, war überhaupt nichts mehr okay, da ich im Laufe der Jahre offensichtlich und ganz unbemerkt einige Kilos zugelegt hatte. Pech gehabt.
Da ich nicht den ganzen Abend vorm Kleiderschrank verbringen wollte, stopfte ich eine Jeans in die Tasche, zwei Rollkragenpullover, ein rotes Kleid aus der Tom-Zeit und das dunkelgrüne Kleid, das Jan damals auf den roten Plastiksitzen der Bundesbahn verknittert hatte. Den Rest würde ich mir eben in Venedig kaufen müssen. Schließlich war ich doch beinahe eine gutverdienende Serienschreiberin.
Unser Flugzeug startete früh am Morgen Richtung Süden – Zwischenstop in Frankfurt –, und als wir gegen Mittag in Venedig landeten, empfing uns eine milchige Novembersonne.
»Ich bin sooo glücklich!« schrie ich, als ich das Flugzeug verließ; die Stewardeß sah mich nur irritiert an.
»Ich war an meinem dreißigsten total down«, sagte Greta mit Grabesstimme.
»Wieso? Es war doch ein toller Tag!« Ich lachte. »Ohne dein Geburtstagsessen hätte ich Jan nie … Oh, Shit!« Ich schlug mir mitder flachen Hand auf den Mund. »Eigentlich wollte ich keine Sekunde von dem Menschen reden.«
»Jaja, die liebe …«
»Jaja, der Sex …«
»Nur Sex?« fragte Greta.
»Ich bin in dreißig langen Jahren nicht hinter das Geheimnis gekommen.«
»Vielleicht kommst du ja hier dahinter.« Greta fuhr sich durch die zerstrubbelten Haare. »Venedig ist doch die Stadt der Liebe. Zumindest in der Literatur.«
»Oh, so gebildet?«
»Du kannst es dir vielleicht nicht vorstellen, aber auch ich habe mal einen Seminarraum von innen gesehen.« Greta grinste.
»Also: Sei gewarnt. Venedig ist auch die Stadt des Rausches. Und des Todes.«
»Ich habe eigentlich nicht vor, hier zu sterben. Wäre doch schade, wenn ich die Rückfahrt mit dem Vaporetto nicht mehr antreten könnte. Die soll sehr schön sein.«
Die Hinfahrt war es dann auch. Auf den letzten Drücker erreichten wir noch das Boot, schipperten etwa eine Stunde über die Lagune, vorbei an Murano und dem Waffenarsenal, bis der Markusplatz vor uns auftauchte.
»So von hinten ist doch auch Gustav Aschenbach in die Stadt gekommen«, sagte Greta.
»Für mich ist das nicht von hinten , sondern von vorn. «
»Reine Geschmackssache«, meinte Greta kichernd.
»Woran du nur wieder denkst!«
»Hab ziemlich lange nicht mehr dran gedacht. Ein Micha und ein Mäxchen bringen einen selten auf solche Ideen.«
»Heißt das, du fährst mit eindeutigen Beischlaf-Absichten nach Venedig?«
»Ach, Quatsch! Du kennst mich doch. Ich würde nie …« Greta lachte. »Wenn ich mich recht entsinne, brauche ich schon mal mindestens eine Woche Kennenlernphase, bis ich überhaupt jemanden küssen kann. Das kriege ich also nie im Leben hin.«
»Soll ich dir helfen? Deiner Zunge sagen, wo es langgeht?«
»Danke. Das wäre wirklich zu aufmerksam.« Greta klang plötzlich bitter. »Könnte nämlich sein, daß ich das Küssen inzwischen verlernt habe.«
Vom Markusplatz zu unserem Hotel waren es nur etwa sechs Minuten zu Fuß. Es lag gegenüber der barocken Kirche Santa Maria del Giglio, die gerade in der Mittagssonne zu dösen schien.
»Das hast du ja nett ausgesucht!« sagte Greta.
»Ja. Nett teuer. Spielt aber keine Rolle, wenn man dreißig wird.«
Das Hotel war wirklich ganz reizend. Eine Terrasse zum Campo, drinnen waren überall Kübel mit frischen Blumen aufgestellt, und in der kleinen Eingangshalle standen einladend dunkelrote Samtsessel. Wir regelten die Formalitäten an der Rezeption, ließen dann die Koffer von einem smarten Rotgelockten in den ersten Stock schleppen.
Unser Zimmer war ebenfalls ganz reizend. Stilvolle alte Möbel, an der Decke angefressen-verblichene Fresken – nur die Dusche hatte mehr Ähnlichkeit mit einer intergalaktischen Beam-Kabine aus den siebziger Jahren als mit einem Ding, das der Köperreinigung diente.
»Schnell frisch machen, und dann stürzen wir uns ins italienische Leben!« rief Greta fast übermütig aus.
Ich war einverstanden.
Als wir etwa eine halbe Stunde später das Hotel verließen, hatte sich die Sonne hinter fette, graue Wolken verzogen, und es war sehr viel kühler geworden.
Unser erster Gang führte uns – wie konnte es anders sein – in eine Bar um die Ecke, wo wir einen Begrüßungsprosecco
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