Lipstick
die Familienverhältnisse in groben Zügen geschildert hatte.
»Ja, das ist es.« Ich starrte auf meine Hände. »Gerade habe ich seine Frau getroffen. Am liebsten würde ich auswandern.«
»Wirklich?«
»Na ja, nicht richtig, aber zumindest in meiner Phantasie. Katharina ist großartig. Wenn ich daran denke, daß …«
»Mich hast du auch betrogen«, sagte Hans.
»Tut mir leid. Aber ich hab dir nie was versprochen«, murmelte ich leise.
»So kann man es auch nennen.« Hans nippte an seinem Kaffee, der mittlerweile kalt und gallebitter sein mußte. »Merkwürdig«, sagte er dann. »Am schönsten ist es immer, wenn eine Liebe beginnt, und ein bißchen auch, wenn sie zu Ende geht.«
Ich sah ihn fragend an.
»Im Ernst. Der Schmerz ist in etwa derselbe.«
Vielleicht hatte er recht. Einen kurzen Moment lang mußte ich daran denken, wie Hans mich zum ersten Mal in seinem Auto geküßt hatte.
»Weißt du eigentlich, daß ich dich in Gedanken immer Kapuze genannt habe?«
»Wieso?« fragte Hans wirklich völlig ahnungslos.
»Denk mal nach! Was hattest du bei unserem ersten Treffen an?«
»Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, was du anhattest.«
»Typisch«, sagte ich nur und klärte ihn dann über sein meistbenutztes Kleidungsstück im Schrank auf.
Später brachte Hans mich in seinem Auto nach Hause, wir küßten uns ein letztes Mal, innig und leidenschaftlich wie nie zuvor – es haute mich regelrecht um.
»Wollen wir nicht noch einmal …?« fragte er zaghaft an.
»Besser nicht.«
»Aber das Leben ist zu kurz, um Gelegenheiten wie diese auszulassen.«
Da hatte Hans eigentlich auch recht. Und da ich mit Jan vorerst keine Bettgeschichten mehr wollte, bat ich Hans, doch dorthin zu fahren, wo wir damals nach der Disko im Gewitter anhalten mußten.
»Es ist hellichter Tag!« empörte sich Hans, fuhr aber brav los.
»In der Straße ist doch tote Hose. Mütter mit Kindern, ein paar Rentner …«
»Stimmt. Denen kann man so was zumuten.«
Die Sache mit Hans fing an, mir Spaß zu machen. Aber wie sollte ich Greta später das Ende unserer sogenannten Aussprache erklären? Wir hatten dann plötzlich Lust, es noch einmal an derselben Stelle zu tun? Und da ich vorher zufällig Katharina getroffen hatte, die mir so sympathisch war, fand ich es auch völlig akzeptabel? Eine Logik zum Davonlaufen.
»Was ist denn mit deinem Liebesendschmerz?« zog ich Hans auf, als wir eine Parklücke weiter zum Stehen kamen. Auf unserem Platz parkte ein dunkelgrüner Mini mit Faltdach.
»Er vermischt sich gerade mit einem Liebesanfangsschmerz.«
Ich mußte lachen und fuhr ihm durch die Haare.
»Also, los«, sagte ich, aber Hans rührte sich nicht.
Eine Dame mittleren Alters spazierte vorüber und schaute in den Wagen.
Ein schneller Griff in seine Hose – immerhin hielt Hans, was er versprach.
»Das geht doch nicht«, zeterte er und schlaffte mir unter meinen Fingern ab.
»Mutprobe«, sagte ich. Irgendwie hatte ich aus den diversen Jan-Episoden gelernt.
»Aber nur Petting.«
»Abgemacht.«
Wir gaben unser Bestes, aber da tatsächlich alle Naslang irgend jemand vorbeispazierte, wurde es ein hundsmiserables Petting, was dazu führte, daß wir zu Hans fuhren und dort unser Bestes gaben, um die mißratene Nummer im Auto wieder wettzumachen.
Greta war entsetzt: »Wie kannst du nur? Den hast du jetzt für immer an der Backe«; aber ich war ganz zufrieden. Warum denn nicht? Das Leben machte Spaß, und nächste Woche würde ich aller Voraussicht nach dreißig werden.
Bisher wußte ich weder, was ich an diesem Tag anstellen wollte, noch hatte ich mir wie alle in meinem Umfeld Gedanken gemacht, was dieser Tag für mich bedeutete. Große Lebenskrise? Dreißig Jahr – blondes Haar, und das Leben war vorbei? Damit konnte ich leider nicht dienen. Dreißig zu werden war nicht anders als neunundzwanzig oder achtundzwanzig oder fünfundvierzig – ich konnte sowieso nichts daran ändern.
Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heit’ren Stunden nur, den Spruch hatte ich als Zehnjährige in jedes Poesiealbum geschrieben, das mir in die Hände gefallen war. Leider hatte ich dieses Motto in den letzten zwei Jahrzehnten vergessen, aber jetzt war ich doch auf dem besten Weg, es mir wieder anzueignen. Und gemäß diesem Motto konnte Greta auch nichts dagegen haben, daß ich mit Hans geschlafen hatte … zähl die heit’ren Stunden nur.
Party oder nicht Party, das war hier die Frage. Für eine Party sprach einiges, gegen eine Party eigentlich
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