Lisa Kleypas
abschieben. Also habe ich
moralischen Druck auf Sam ausgeübt, damit er mir hilft.«
»Und –
bereuen Sie's?«
Mark
schüttelte prompt den Kopf. »Meine Schwester zu verlieren war der schwerste
Schlag in meinem Leben, aber Holly zu haben ist das Beste, was mir je passieren
konnte. Sam sieht das genauso.«
»Läuft
alles so, wie Sie es erwartet haben?«
»Ich hatte
keine Ahnung, was da auf mich zukommt, und habe nichts erwartet. Wir nehmen
jeden Tag so, wie er kommt. Es gibt tolle Augenblicke ... der erste Fisch, den
Holly im Egg Lake gefangen hat ... oder der Morgen, an dem sie und Sam
einen Waffelturm mit Bananen und Marshmallows zum Frühstück gebaut haben. Sie
hätten die Küche hinterher sehen sollen. Aber es gibt auch andere Momente.
Wenn wir draußen unterwegs sind und eine Familie sehen ...« Er zögerte. »Dann
merke ich Holly an, dass sie sich fragt, wie es wohl wäre, eine richtige Familie
zu haben.«
»Sie sind
doch eine Familie«, warf Maggie ein.
»Zwei Onkel
und ein Kind?«
»Ja. Das
ist eine Familie.«
Ziellos und
zwanglos floss die Unterhaltung dahin. Sie ließen sich treiben und kamen von
einem Thema auf das andere, wie es sonst nur bei langjährigen Freunden üblich
ist.
Sie
erzählte ihm, wie es war, in einer großen Familie aufgewachsen zu sein. Von
endlosen Kämpfen um das heiße Wasser, um Aufmerksamkeit und um Privatsphäre.
Aber trotz aller Streitereien und Rivalitäten gingen alle liebevoll miteinander
um, kümmerten sich umeinander und waren glücklich. Als Maggie in die vierte
Klasse ging, konnte sie bereits ein Mittagessen für zehn Personen zubereiten.
Sie trug nur von den älteren Geschwistern vererbte Kleidung, und es kümmerte
sie nicht. Als wirklich störend empfand sie nur eines: Was immer sie besaß,
ging verloren oder wurde kaputt gemacht. »Irgendwann kommt man an einen Punkt,
an dem es einem egal sein muss«, sagte sie. »Also habe ich schon als
kleines Mädchen eine beinah buddhistische Einstellung zu meinen Spielsachen
entwickelt: Ich kann sehr gut loslassen, hänge nicht an Dingen.«
Mark
schwieg sich ziemlich aus, was sein Elternhaus anging, aber ein paar Einblicke
gewann Maggie doch. Aus dem Wenigen, was er sagte, schloss sie, dass seine
Eltern sich total in ihren Ehekrieg verstrickt hatten und die Kinder die
Leidtragenden waren. Ferien, Geburtstage, Familienfeiern – alles diente nur
als Bühne für die üblichen heftigen Auseinandersetzungen.
»Als ich
vierzehn war, haben wir aufgehört, Weihnachten zu feiern«, erzählte Mark.
Maggie riss
erstaunt die Augen auf. »Warum?«
»Es fing
alles mit einem Armband an, das meine Mutter auf einem Ausflug mit Victoria in
einem Schaufenster entdeckte. Sie gingen in den Laden, sie probierte das Armband
an und erklärte Vick, sie müsse das Teil unbedingt haben. Die beiden waren
total aufgekratzt, als sie nach Hause kamen, und von dem Moment an redete Mom
von nichts anderem mehr als davon, dass sie unbedingt dieses Armband zu
Weihnachten haben wolle. Sie ließ es Dad wissen, sagte ihm, wo er es kaufen
könne, und machte ein Riesentheater darum. Dann kam der Weihnachtsmorgen: kein
Armband.«
»Was hat er
ihr stattdessen geschenkt?«, fragte Maggie, fasziniert und entsetzt
zugleich.
»Ich weiß
es nicht mehr. Einen Mixer oder so was. Jedenfalls war Mom so sauer, dass sie
erklärte, nie wieder Weihnachten feiern zu wollen.«
»Nie
wieder?«
»Niemals.
Ich glaube, sie hatte nur nach einer guten Ausrede gesucht, und dann hatte sie
endlich eine. Wir waren alle erleichtert. Von da an gingen wir zu Weihnachten
getrennte Wege, besuchten unsere Freunde, gingen ins Kino oder irgendwas in der
Art.« Angesichts Maggies Gesichtsausdrucks fügte er rasch hinzu: »Das war
wirklich gut
so. Weihnachten hat uns nie etwas bedeutet. Aber jetzt kommt der verrückteste
Teil der Geschichte: Victoria tat die ganze Sache dermaßen leid, dass sie Sam,
Alex und mich dazu brachte, Geld zusammenzulegen, um Mom das Armband zum
Geburtstag zu schenken. Wir arbeiteten dafür und sparten jeden Cent. Victoria
wickelte es in teures Geschenkpapier, band eine große Schleife darum. Als Mom
ihr Geschenk auspackte, erwarteten wir eine überwältigende Reaktion,
Freudentränen oder so. Aber stattdessen ... Es sah ganz so aus, als erinnerte
sie sich gar nicht an das Armband. Sie sagte: ,Wie hübsch' und ,Danke`, und das
war's. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie es je getragen hätte.«
»Weil es
ihr nie wirklich um das Armband ging.«
»Ja.«
Mark warf
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