Lisa Kleypas
Maggie einen fragenden Blick zu. »Woher wissen Sie das?«
»Wenn Paare
streiten, geht es meistens gar nicht um die Sache, um die sie sich streiten.
Oft liegen die Ursachen für die Auseinandersetzung viel tiefer.«
»Wenn ich
mit jemandem streite, geht es immer um die Sache, um die ich streite. Ich bin
da ganz einfach gestrickt.«
»Worüber streiten Sie sich mit Shelby?«
»Wir
streiten uns nicht.«
»Nie? Über
gar nichts?«
»Ist das
schlimm?«
»Nein,
nein, überhaupt nicht.«
»Sie halten
es für schlimm.«
»Nun ja ...
Ich glaube, es kommt auf die Gründe an. Gibt es keine Auseinandersetzungen,
weil Sie zufällig in absolut allen Dingen einer Meinung sind? Oder liegt es daran,
dass Ihnen beiden die Beziehung nicht so wichtig ist?«
Mark
überlegte. »Sobald ich in Seattle bin, werde ich mit ihr einen Streit anfangen,
um das herauszufinden.«
»Bitte
nicht«, widersprach Maggie lachend.
Sie hatte
das Gefühl, sich gerade mal zehn oder fünfzehn Minuten mit Mark unterhalten zu
haben, als ihr plötzlich auffiel, dass die Leute ringsherum ihre Sachen
zusammensuchten und sich auf die Ankunft in Anacortes vorbereiteten. Die Fähre
durchquerte gerade die Rosario Streit. Der klagende Ton der
Schiffssirene holte sie in die Realität zurück, und sie stellte fest, dass die
letzten anderthalb Stunden unglaublich schnell vergangen waren. Ihr war, als
erwache sie aus einer Art Trance. Sie sprach es nicht aus, aber diese
Fährüberfahrt nach Anacortes hatte ihr mehr Spaß gemacht als alles, was sie in
den letzten Monaten erlebt hatte. Oder vielleicht sogar in den letzten Jahren.
Mark erhob
sich und schaute sie an. Sein unentschlossenes Lächeln war entwaffnend. »Hey
...« Sein sanfter Tonfall ließ sie angenehm erschauern. »Fahren Sie am
Sonntagnachmittag wieder mit der Fähre zurück?«
Sie stand
ebenfalls auf und war sich seiner Gegenwart nahezu unerträglich bewusst. Alles
an ihm zog sie an, jedes kleine Detail ... Die Wärme seiner Haut unter dem
Baumwollhemd, die Stelle, an der seine dunklen, glänzenden Haare sich leicht
in seinem sonnengebräunten Nacken kringelten ...
»Wahrscheinlich«,
beantwortete sie seine Frage.
»Wann
fahren Sie? 14:40 oder 16:30 Uhr?«
»Das weiß
ich noch nicht.«
Mark nickte
und ließ es dabei bewenden.
Als er
ging, stellte Maggie beunruhigt fest, wie wohl sie sich fühlte und dass sich
Sehnsucht in dieses Gefühl mischte. Sie rief sich in Erinnerung, dass Mark
Nolan tabu für sie war. Und sie tabu für ihn. Zum einen misstraute sie der
Intensität, mit der sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Zum anderen
war sie noch nicht bereit, das Risiko einzugehen, das er für sie darstellte.
Sie würde
nie dafür bereit sein. Manche Risiken waren so groß, dass man es sich nur
einmal leisten konnte, sich darauf einzulassen.
Kapitel 5
Maggie und ihre Geschwister waren im Stadtteil
Edgemoor in Bellingham aufgewachsen. Sie hatten die Trampelpfade des Chuckanut Mountain
erkundet und am Strand der Bellingham Bay gespielt.
Edgemoor
war ein ruhiges Wohnviertel, von dem aus man sowohl die Berge auf San Juan als
auch die kanadischen Gebirge jenseits der Grenze sehen konnte. Ganz in der
Nähe lag der Stadtteil Fairhaven mit seinen einzigartigen Geschäften und
Galerien sowie Restaurants, in denen die Kellner immer sagen konnten, welcher
Fisch am frischesten war und woher er kam.
Bellingham
wurde seinem Spitznamen »Stadt der unterdrückten Aufregung« mehr als
gerecht. Die Stadt legte ein gemächliches Tempo an den Tag und wirkte gemütlich.
An diesem Ort konnte man so exzentrisch sein, wie man wollte, und immer
Gesellschaft finden. Die Autos waren mit allen möglichen Aufklebern verziert.
Werbetafeln der verschiedensten politischen Gruppierungen sprossen in den
Vorgärten wie Schneeglöckchen im Frühling. Jede Überzeugung wurde toleriert,
solange man nicht anfing zu missionieren.
Nachdem
ihre Schwester Jill sie in Anacortes abgeholt hatte, fuhren sie zusammen zum
Essen nach Fairhaven. Da Maggie und Jill die Jüngsten der Familie waren – sie
lagen nur anderthalb Jahre auseinander –, hatten sie sich immer sehr nahe
gestanden. In der Schule war Maggie durchgängig ein Jahr weiter gewesen als
Jill, sie hatten dieselben Ferienlager besucht, sich in dieselben Teenie-Stars
verknallt. Jill war Maggies Brautjungfer gewesen und hatte sie bereits
gebeten, bei der bevorstehenden Hochzeit mit Danny Stroud,
einem Feuerwehrmann aus dem Ort, als Trauzeugin zu fungieren.
»Ich bin
froh, dass
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