Lisa Kleypas
mich
gerade als freiwillige Helferin für Alices Kindergartengruppe gemeldet. Ich
habe also viel zu viel zu tun.« Sie reichte ihm den Zettel, nahm das
Schneidebrett und ließ die Selleriestückchen darauf in die Suppe fallen, die
auf dem Herd vor sich hin köchelte.
»Großer
Gott.« Stirnrunzelnd und leicht abwesend überflog er den Text. »Dafür habe
ich keine Zeit.«
»Du wirst
sie dir nehmen müssen.«
»Hmm, ich
könnte einen meiner Studenten bitten, ihr zu helfen. Was meinst du? Als
Aufgabe, die ihm Zusatzpunkte einbringt.«
Ihre Mutter
runzelte die Stirn, ihre Lippen wurden schmal. »Philipp, wie kannst du nur
darauf kommen, deine Tochter an einen Collegestudenten abzuschieben ...«
»Das war
ein Scherz«, warf er hastig ein, aber Lucy nahm ihm das nicht vollständig
ab.
»Dann bist
du also bereit, Lucy bei dieser Aufgabe zu helfen?«
»Sieht
nicht so aus, als hätte ich eine Wahl.«
»Das wird
eure Bindung festigen.«
Er warf
Lucy einen resignierten Blick zu. »Brauchen wir das? Müssen wir unsere Bindung
festigen?«
»Ja,
Daddy.«
»Na schön.
Weißt du schon, was für ein Experiment du durchführen willst?«
»Das wird
ein Referat«, antwortete Lucy. »Über Glas.«
»Wie wäre es mit einem
Projekt zum Thema Weltall? Wir könnten ein Modell des Sonnensystems bauen oder
beschreiben, wie Sterne entstehen ...«
»Nein,
Daddy. Es muss um Glas gehen.«
»Warum?«
»Es muss
einfach.«
Lucy war
absolut fasziniert von Glas. Jeden Morgen bewunderte sie das so vielseitige
Material, aus dem ihr Trinkglas bestand. Wie vollkommen die Farben der
Flüssigkeit darin leuchteten, wie leicht es Hitze, Kälte und Vibrationen
übertrug.
Ihr Vater
nahm sie mit in die Bücherei und suchte Bücher für Erwachsene zum Thema Glas
und Glaswaren heraus. Er war der Meinung, Kinderbücher zum Thema gäben nicht
genug her. Lucy lernte, dass Substanzen aus Molekülen, die wie Ziegelsteine
aufeinandergestapelt waren, nicht durchsichtig waren. Aber wenn eine Substanz
wie Wasser oder aufgekochter Zucker oder Glas aus zufällig zusammengewürfelten
Molekülen bestand, dann fand das Licht einen Weg zwischen den Molekülen hindurch.
»Sag mir,
Lucy«, fragte ihr Vater, während sie ein Diagramm auf die Schautafel
klebten, »ist Glas eine Flüssigkeit oder eine feste Substanz?«
»Es ist
eine Flüssigkeit, die sich verhält wie eine feste Substanz.«
»Du bist
ein sehr kluges Mädchen. Glaubst du, du wirst einmal Wissenschaftlerin, wenn du
erwachsen bist?«
Sie
schüttelte den Kopf.
»Was willst
du denn werden?«
»Eine
Glaskünstlerin.«
In letzter
Zeit träumte Lucy mehr und mehr davon, Dinge aus Glas zu machen. Im Schlaf sah
sie Licht durch bonbonfarbene Fenster fallen und an den Scheiben ge brochen
werden ... Sie sah Glas, das herumwirbelte und sich bewegte wie exotische
Meereslebewesen, Vögel, Blumen im Wind.
Ihr Vater
wirkte beunruhigt. »Nur wenige Menschen können als Künstler ihren
Lebensunterhalt bestreiten. Nur die Berühmten verdienen Geld damit.«
»Dann werde
ich eine berühmte Künstlerin«, gab Lucy fröhlich zurück und malte die
Buchstaben auf der Schautafel bunt an.
Am
Wochenende besuchte ihr Vater mit ihr eine Glasbläserwerkstatt, wo ein Mann
mit rotem Bart ihr die Grundlagen seines Handwerks zeigte. Fasziniert drängte
Lucy sich so dicht an ihn heran, wie ihr Vater es ihr gerade noch erlaubte.
Nachdem der Glasbläser in einem Hochtemperatur-Schmelzofen Sand geschmolzen
hatte, stieß er eine lange Metallstange in den Ofen und nahm damit einen
glühend roten Klumpen geschmolzenes Glas auf. Die Luft roch nach heißem Metall,
Schweiß, verbrannter Tinte und Asche von den nassen Zeitungen, mit deren Hilfe
das Glas von Hand geformt wurde.
Immer
wieder nahm der Glasbläser noch mehr von der feurig glühenden Masse auf, drehte
sie ständig, erhitzte sie wieder und wieder. Dann streute er blaue Glasfritte,
ein fein gemahlenes Pulver aus farbigem Glas, darüber und rollte die Masse auf
einem Stahltisch hin und her, um die Farbe gleichmäßig zu verteilen.
Lucy sah
mit großen Augen zu. Sie wollte alles lernen, was es über diesen
geheimnisvollen Vorgang zu lernen gab, jeden Verarbeitungsschritt, jede
Möglichkeit, Glas zu schneiden, miteinander zu verschmelzen, zu färben und zu
formen. Noch nie war ihr etwas so wichtig oder wissenswert erschienen.
Bevor sie
die Werkstatt verließen, kaufte ihr Vater ihr einen
kleinen mundgeblasenen Heißluftballon aus Glas, der mit schimmernden Streifen
in
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