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Lisa

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Titel: Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Schädel ab und lasse mich einfach wegsperren, damit endlich Frieden ist! Aber der verarscht mich nicht. Am Anfang zumindest nicht. Was sagt er? Er sagt: Ich wars. Am liebstenhätte ich vor Gier und Glück rumgeschrien. Ich habe mir genüsslich Zeit gelassen, ich habe mir genau überlegt, wie ich ihm die Frage stelle, und so sage ich schließlich in aller Ruhe: Können Sie mir etwas über die Frau erzählen, die bei Ihnen war? Und er schaut mich groß an und fragt: Welche Frau? Auf …

 
    7
     
    Guten Abend. Alle da? Ich lege gleich los.
    Um vier Uhr früh Autoscheinwerfer. Auto steht drei Minuten da, dreht um und fährt weg.
    Bleiben wir realistisch. So etwas kann schon vorkommen, es sind Urlauber unterwegs in ganz Europa, wieso nicht auch auf dieser Bergstraße. Trotzdem. Was für eine Nacht das für mich war, könnt ihr euch vorstellen. Das hier übersteigt allmählich meine Leidenskapazitäten. Also zuerst nicht geschlafen, und am Tag dann der Schock wegen Alex.
    Ich muss hier weg, aber ich kann nicht, ich weiß mir nicht zu helfen.
    …
    Alex. Moment, so. Zigaretten da, Flasche da, Tüten da, Kreditkarte da, Taschentücher da. Zuhörer da? Ich sammle mich mal kurz, ich bin heute früh dran, ich will nicht, dass die Stammhörerschaft etwas versäumt. Warten wir noch eine Zigarettenlänge.
    …
    Guten Abend. Heute um vier gab es Besuch. Ein Auto leuchtet mir ins Schlafzimmer, so dass ich vor Schreck senkrecht im Bett stehe. Nach drei Minuten fährt es weg.
    Bleiben wir realistisch, wahrscheinlich hat sich ein übermüdeter polnischer Familienvater bei den Schnarchgeräuschen der Kinder verirrt, aber mein Leben hat der damit nicht einfacher gemacht.
    Und heute Nachmittag, zack. Plötzlich ist Alex weg. Verschwunden. Wer hier regelmäßig zuhört, kann sich vorstellen, was für ein Turbo in mir zündet, wie ich ihn nirgends finde, im Haus nicht, im Garten nicht, und die Orte, an denen er sich befinden könnte, immer weniger werden. Mir wird jetzt noch schlecht, wenn ich daran denke.
    Buchstäblich alles suche ich ab. Das ganze Haus, den Garten, das Baumhaus, das wir an den ersten drei Tagen gezimmert haben, sogar den Keller, danach die Wiese, auf der wir Frisbee spielen oder den Drachen steigen lassen. Im Auto sehe ich nach, unter dem Auto sehe ich nach, am Waldrand rufe ich seinen Namen. Ich schreie und brülle und werde immer verzweifelter.
    Irgendwann bin ich zu dem verlassenen Gasthaus rauf, obwohl mir klar war, dass er da nie reingegangen wäre. Ich suche das Unterholz dahinter ab, und während ich eine Schreipause mache, meine ich, etwas zu hören. Summen. Aus dem Gasthaus.
    Ich jetzt hinein wie im Film, die Tür trete ich schreiend auf. Ich horche, jemand singt, ein Kind singt. Ich den Tönen nach. Sitzt Alex auf dem Dachboden auf einer dreckigen alten Matratze und singt. Ich habe gedacht, ich drehe durch.
    Ich habe ihn mir ordentlich vorgeknöpft. Am Arm nach unten gezogen und ab nach draußen. Eine Mutprobe ist es gewesen, sagt er mir, er hat mich nicht rufen gehört. Wie lange sitzt du schon da oben, und er, er weiß es nicht. Jetzt liegt er drüben und hat neununddreißigfünf Fieber. Ich habe ihm etwas gegeben, das das Fieber runterbringt.
    Ich verstehe das nicht. Mutprobe. Singerei im Geistergasthaus.Was Mutprobe, wie Mutprobe, wieso Mutprobe, im Normalfall beweist man doch anderen, wieviel Mumm man hat, und nicht sich selbst. Wobei er genaugenommen das Richtige macht, denn klar wäre es besser, sich nicht darum zu scheren, was die anderen denken, und sich lieber selber zu beweisen, was man drauf hat.
    Ich bin völlig erledigt. Musik! Ich drehe nicht laut auf. Dings … na … Interpol!
    …
    Eigentlich wollte ich heute wieder ins Dorf hinunterfahren und einkaufen und telefonieren. Nach der Gesangseinlage natürlich kein Thema mehr. Habe mich damit begnügt, die üblichen Anrufe durchzugehen. Ergebnis null. Keine Nachricht, weder von Hilgert noch von Bene oder sonst jemandem. Als wären wir die letzten Menschen.
    Darauf habe ich im Büro angerufen. Endlich wieder eine Stimme zu hören fand ich tröstlich, selbst wenn es nur die von Heike war, die sich noch nie besonders freundlich oder gar lebendig angehört hat. Die Nachrichten waren dafür weniger erfreulich. Bene ist heute nicht zur Arbeit gekommen und hat auch nicht angerufen.
    Ich habe mit der Polizei telefoniert. Die sagen, ohne Vermisstenanzeige können sie nichts machen, ich soll vorbeikommen. Aber dass sie sie wahrscheinlich gar nicht

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