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Lisa

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Titel: Lisa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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irgendwo, Klischee, beim Putzplan. Boooooah konnte die damit nerven.
    Ich bin einer, der in der Früh seine Ruhe will. Ich möchte in Frieden meinen Kaffee trinken und mich sammeln und auf den Tag vorbereiten, diskutieren möchte ich ums Verrecken nicht. Ich will auch keinen Sex haben in der Früh, ich bin mir nicht sicher, ob ich das nicht schon mal gesagt habe. Ich erwähne es bloß, weil es mich wundert, wie viele Männer von einer Vorliebe für morgendlichen Sex sprechen, also mir ist das schleierhaft. Am Morgen bin ich müde, und selbst wenn ich nicht müde bin, bin ich doch zumindest nicht an Brüsten und Schenkeln interessiert, sondern mehr an einem Espresso.
    …
    Interessanter Zufall, Mike hat mal ein Stück geschrieben. Eigentlich eine Szenenfolge, in der sich die Leute unterhalten, und die Sache wird immer schrecklicher und absurder. Worauf es schlussendlich hinauslief, kann ich nicht mehr sagen, aber es schien nicht viel Sinn zu ergeben. Geheißen hat das Ganze: »Hilfsarbeitergespräche«.
    …
    Jetzt erinnere ich mich wieder, genau darum ging es. Männer mit bescheidenem Bildungshintergrund reden über die Welt. Ich fand es recht lustig, als er uns das bei irgendeiner gemeinsamen Freundin einmal vorgespielt hat, er las den einen und jemand anderer den zweiten. Schade, dassdas nie im Theater war, das hatte durchaus eine gewisse Wucht. Der Zufall, von dem ich spreche, betrifft den Namen der Frau, um die es in dem Stück geht. Sie heißt Lisa.
    Ich könnte Mike vielleicht doch anrufen und hinschicken, jetzt ist schon alles egal. Aber der hat kein Handy, der durchlebt gerade so eine Phase, er ist Modernitätsverweigerer und geht nur noch zu Fuß und Kerzenlicht und waka waka hap hap.
    …
    Das vorhin Divine Comedy, das jetzt Hank Williams. Heute brauche ich den … na sagen wir Kontrast, nicht Abwechslung, Kontrast … merkt man vermutlich.
    …
    Ich bin wieder beim Wein gelandet, obwohl die Flasche da, wie drücke ichs aus, unter Önologen nicht auf Anerkennung stoßen würde. Kostet unter sechs Euro. Für die Weinfreunde bei uns im Büro wäre der etwas zwischen Essig und Tannenblut. Ich versuche mich dennoch anzufreunden mit ihm. Ich muss überhaupt einmal sagen, dass mir diese ganze Weinscheiße ungeheuer auf den Keks geht.
    Na ist doch wahr. Allerorts Kennerschaft und Genuss. Keiner, der etwas auf sich hält, schießt sich einfach mal eine Flasche ins System, ohne große Augen zu machen und zu schnuppern und das Glas hin und her zu drehen und dreinzuschauen wie ein Orakel oder wenigstens wie ein Weinführerhilfsredakteur.
    Weinführerhilfsredakteurgespräche. Zum Wohl.
    …
    Na stimmt es etwa nicht? Jeder muss ständig mit seiner Kultur protzen. Das hat sich irgendwie ergeben, die Leute haben die Geldprotzerei hinter sich, und derzeit einigensich alle auf die Esskultur, wo sich der größte Kalbskopf für einen Kenner hält.
    Ich weiß, ich fange immer wieder mit demselben Blödsinn an, aber es regt mich eben so auf. Mich regen Angeber auf und Hohlbirnen, und beim Essen erkennt ihr sie nun mal sehr schnell. Wer es sich leisten kann, geht gelegentlich zu irgendeinem Nobelitaliener oder in ein Haubenlokal. Wer sich das nicht leisten kann, besucht eines, das eben einen Stern hat, oder was weiß ich was für Auszeichnungen es für die unteren Chargen gibt. Und wer sich nicht mal das leisten kann, findet schon irgendein heruntergekommenes Loch, in dem entgegen dem äußeren Anschein ganz hervorragend Schnitzel gebacken wird oder ein Apfelkuchen, der den Duft des neuartigen Geheimnisses verströmt, oder wo wenigstens der Hauswein von einer ganz speziellen Rebe ist und dennoch so sagenhaft billig.
    Geheimtipps sind die Würze der Kultur.
    All diese Narren mit ihren wissenden dummen Gesichtern. Jedem Einzelnen seht ihr an, dass er nie irgendetwas versteht. Wenn er seinen Job macht, versteht er nichts. Wenn er mit seinen Kindern spielt, versteht er nichts. Wenn er ein Buch liest, versteht er nichts, so wie er nichts versteht, wenn er die Zeitung liest oder mit seinem Partner über die Welt redet. Wenn er isst, versteht er nichts, wenn er trinkt, versteht er nichts. Und wenn er fickt, versteht er sowieso nichts. Ficken ist Gottesdienst, Freunde!
    Das hört sich wieder alles so misanthropisch an. Ich bin keiner, ich bin kein Misanthrop. Ich bin nur ein Leidender am Gesamtzustand der individuellen Unerträglichkeit. Ich bin ein Opfer der kollektiv gewordenen Zufriedenheit mit dem leicht Erreichbaren. Ich bin der,

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