Lisbeth 02 - Ein Mädchen von 17 Jahren
Motorradfahrt zu machen, und von unten bis oben von Schmutz bespritzt nach Hause kam, wurde sie von uns allen mit strahlendem Lächeln in Empfang genommen.
Von dem jungen Boor redete keiner mehr, weder Lisbeth, noch Heming, noch ich. Was Lisbeth dachte, weiß ich nicht – oder wußte ich jedenfalls damals nicht. Wir hofften, daß die Geschichte mit der Englandreise des Herrn Schiffreeders ein Ende gefunden hätte. Die Stimmung war entsprechend. Lachen und Scherzen gaben in dieser Zeit unserem Heim das Gepräge. Die tägliche Arbeit ging glatt von der Hand, und die Abende waren immer recht gemütlich. Ganz wie früher.
Es war, als hätte Lisbeth sich wiedergefunden. Sie nahm an unseren Gesprächen teil. Sie war lieb und nett zu Peik und zärtlich zu Heming und mir. Ihre Augen glänzten vor gesunder und verständnisvoller Neugierde und vor Interesse, wenn sie auf Nils und Marianne blickte.
Ich erkannte jetzt endlich mein liebes kleines Mädchen wieder, Gott sei Dank!
„Du, Mutti“, sagte sie eines Tages, als sie sich im Gegensatz zu ihrer Gewohnheit freiwillig zum Strümpfestopfen hingesetzt hatte, „ich finde, es ist merkwürdig mit Marianne.“
„Wie meinst du das?“
„Ja – “ Lisbeth fädelte einen unwahrscheinlich langen Faden in die Nadel. „Ich finde, sie ist – munterer geworden, sieht jetzt fröhlicher aus – findest du nicht auch?“
„Ja“, sagte ich. „Glücklicherweise.“
„Es ist ja jetzt, seit sie Nils kennt, nur natürlich. Aber sie hatte sich auch schon vor dieser Zeit verändert. Glaubst du, das liegt an uns, Mutti? Manchmal glaube ich es. Sie ist nicht mehr so allein, weißt du.“
„Sicher, du hast recht, Lisbeth.“
„Aber kannst du es verstehen, weshalb sie nie etwas von sich selbst erzählt? Ich glaube fast, sie hat etwas furchtbar Trauriges erlebt. Meinst du nicht auch?“
„Ja“, sagte ich. „Es ist immer traurig, das Kind von geschiedenen Eltern zu sein, weißt du.“
„Ja-----a“, sagte Lisbeth nachdenklich. Sie führte dieHand in einen Strumpf und seufzte hörbar, als ihre Finger aus einem Riesenloch herausfuhren.
„Aber es ist genauso, als hätte Marianne etwas ganz besonders Schlimmes erlebt – oder etwas – worüber sie sich schämt – oder etwas, wovon sie Komplexe bekommen hat, so daß sie – es verdrängt.“ Ich mußte lächeln.
„Beschäftigst du dich mit Psychoanalyse, Lisbeth?“
„Ja, das tue ich vielleicht. Das mit den Verdrängungen ist wirklich merkwürdig. Wenn es einem widerstrebt, an etwas zu denken, so zwingt man sich, nicht daran zu denken. Nicht wahr? Man versteckt es tief im Unterbewußtsein und verschließt es da.“
„Hast du vielleicht schon selber diese Erfahrung gemacht?“‘ fragte ich. Ich hörte Lisbeth gerne philosophieren und wollte, daß sie weiterspräche.
„Ja“, sagte Lisbeth. Sie lachte leicht und wurde rot. „Wenn einer zum. Beispiel eine Dummheit gemacht hat, dann vermeidet er es, an sie und an alles, was mit ihr in Verbindung steht, zu denken. Das ist wohl das, was man Verdrängung nennt?“
„Ja, so kann man es wohl ausdrücken.“
„Zum Beispiel“, sagte Lisbeth, „einmal bei einem Tanzvergnügen war da ein Junge, der mich küßte. Ich weiß wahrhaftig nicht, wie es zuging. Es war gräßlich dumm von mir, mich von ihm küssen zu lassen. Und hinterher bereute ich es – oder jedenfalls ärgerte ich mich fürchterlich darüber. Und der Junge ging auf die Handelsschule und hatte ein Muttermal auf der rechten Backe. Und weißt du, seither mag ich Menschen mit einem Muttermal auf der Backe nicht sehen, und ich verabscheue es, wenn Jungen von der Handelsschule sprechen. Das ist ja richtig blöde, aber so geht es mir nun einmal. Kannst du das verstehen, Mutti?“
„Ja, das kann ich gut verstehen.“ Lisbeth ließ den Strumpf sinken und sah mich an. „Hast du auch so etwas erlebt, Mutti?“
„Du meinst, daß ein Junge mich geküßt hat?“
„Ach, daran dachte ich eigentlich nicht gerade. Sei unbesorgt! Du brauchst mir keine Rechenschaft abzulegen. Denk daran, daß du mein großes Vorbild bist. Da war es doch fürchterlich, wenn ich alles, was du verkehrt gemacht hast, zu wissen bekäme. Das würde ja meinen Respekt vor dir harabmindern.“ Lisbeths Augen funkelten vor Schelmerei.
„Was würde da herabgemindert? Ich verstehe nicht recht.“
„Mein Respekt“, sagte sie.
„Aber, liebe Lisbeth! Existiert dieses Wort denn überhaupt in deinem Wortschatz?“
„O ja. Weißt du, auf eine Art
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