Listiger Freitag
der größte und hässlichste der Bringer vernehmen, dessen Melone am wenigsten zerbeult war, und befahl halb knurrend, halb bellend: »Berichtet dem Rudel, berichtet dem Boss!«
Ein kleinerer Bringer drehte sich um und sauste davon. Er war zu schnell für Arthur, der im selben Moment einen Ausfall machte und nach ihm und dem Anführer schlug. Der große jedoch bezahlte den Preis für seine Unfähigkeit, gleichzeitig zu sprechen und zu handeln: Die Spitze des Rapiers stach durch den Ärmel seiner schwarzen Jacke und ließ Anzug, Hut und Bringer in einem öligen Hauch verschwinden.
Die drei verbleibenden Nichtlinge wichen winselnd zurück. Arthur ließ sie gehen, weil ihm der kleine ohnehin entwischt war. Das Trio zog sich zwanzig oder dreißig Meter zurück, ohne ihn aus den Augen zu lassen, dann drehten sie sich um und rannten, bis sie im Schneegestöber verschwanden.
Ein scharfes, metallisches Geräusch ließ Arthur seinerseits herumfahren. Es kam von der Tür, und im ersten Moment dachte er, dahinter würde eine Waffe bereitgemacht. Dann sah er, dass in der Mitte ein metallgerahmter Briefschlitz eingelassen war, dessen Deckel klapperte.
Arthur hob den Deckel mit der Klingenspitze an und versuchte hineinzuschauen, ohne der Öffnung zu nahe zu kommen. Der Lohn seiner Bemühungen war der Anblick einer Gestalt, die auf der anderen Seite zurückprallte und ein paar gedämpfte Laute von sich gab, bei denen es sich vermutlich um Flüche handelte.
»Aufmachen!«, befahl Arthur.
KAPITEL VIER
Blatt fühlte, wie ihr Magen einen Salto schlug, als sie die Augen öffnete. Die Reihe der Schläfer marschierte einen breiten Gang entlang, der grob aus einem stumpf rosafarbenen Gestein gehauen war; alle paar Meter spien drachenköpfige Gasdüsen aus angelaufener Bronze lange blaue Flammen über die leicht gewölbte Decke und sorgten für Licht. Blatt machte einen Schritt in der neuen Umgebung und verlor fast das Gleichgewicht. Sie musste auf ganz und gar nicht schläfrige Weise mit den Armen rudern.
So taumelte sie vorwärts und bemühte sich gleichzeitig, schlafend zu erscheinen. Es dauerte ein paar Schritte, bis ihr klar wurde, dass sie nicht irgendein Innenohrproblem hatte. Versuchsweise trat sie ein wenig kräftiger auf – kräftiger als sie beabsichtigte und auch als nötig war, um ihre Schwäche in den Beinen zu kompensieren. Sie machte einen mächtigen Satz nach oben und wäre fast gegen eine der Gasdüsen an der Decke geprallt, obwohl diese mindestens drei Meter vom Boden entfernt war. Beim Ausweichen stieß sie den Schläfer vor sich mit dem Fuß an.
Während dieses Manöver zwar ihre Hypothese bestätigte, dass sie sich an einem Ort mit niedrigerer Schwerkraft befand, zog es leider auch die Aufmerksamkeit der Bürgerwächter auf sich. Zwei der letzten vier Wachen stürzten auf sie los; die anderen gingen mit den wenigen Schläfern weiter, die am Ende der Reihe hinter ihr waren.
Blatt blieb keine Zeit, um mehr zu tun als aufzustehen und einen Blick zurückzuwerfen, als das Duo sie auch schon an den Armen packte und aus der Reihe auf die Seite zerrte. Sie ließ die Arme schlaff hängen, schloss die Augen und senkte das Kinn auf die Brust, als ob sie wieder eingeschlafen wäre, doch diesmal ließen sich die Aufpasser nicht zum Narren halten.
»Sie ist wach«, meinte der eine, der Stimme nach eine Frau, obwohl beide den gleichen grauen Straßenanzug und Trenchcoat trugen.
»Vielleicht«, sagte der andere, ein männlicher Bürger. »Was machen wir jetzt mit ihr?«
»Schlag es nach. Hast du eine Ausgabe von Vorschriften und Verfahrensweisen?«
»Ich habe letzte Nacht in der Binderei gearbeitet und sie unter einen Stein gelegt, um sie zu glätten, und dann habe ich vergessen, unter welchen. Kann ich mir deine borgen?«
»Ich war gerade beim Vergolden der großen Anfangsbuchstaben«, erwiderte die Bürgerin. »Sie liegt noch auf meinem Arbeitstisch.«
»Ich nehme an, wir könnten Sie fragen …«
Blatt konnte einen Schauder nicht unterdrücken, denn durch seinen Tonfall wurde klar, dass er von Lady Freitag sprach.
»Sei nicht dumm! Sie will nicht belästigt werden. Wir hatten doch schon mal eine Aufwacherin. Was haben wir mit der gemacht?«
»Ich hatte noch nie eine Aufwacherin, Milka.«
»Das war doch erst vor sechsundzwanzig Jahren hiesiger Zeit. Wo warst du da?«
»Wo ich am liebsten immer noch wäre: an der Großen Presse, Sechster Bereitschaftsarbeiter. Ich bin hierhergeschickt worden, als Jakem die
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