Listiger Freitag
Schläferin! Du bist viel zu jung! Wer bist du?«
»Ich bin Blatt. Ich hatte geschlafen und bin aufgewacht–«
Axilrad fasste Blatt am Kinn und drehte ihr Gesicht so, dass es von der Gasflamme an der Decke beleuchtet wurde.
»Du bist ein Pfeiferkind, nicht wahr? Wer hat dich geschickt? Was sollst du hier?«
»Ich war in dem Krankenhaus, und Dr. Freitag kam, und dann muss ich wieder eingeschlafen sein –«
Axilrad ließ los, und Blatt spürte ein Ziehen im Nacken, als sie den Kopf wieder gerade hielt.
»Das ist eigenartig«, meinte die Bürgerin. Sie schien mit sich selbst zu sprechen und schaute Blatt nicht an. »Sie nimmt doch nie so Junge! Dafür muss es einen Grund geben. Ich werde ihn herausfinden müssen. Überraschungen dieser Art mag ich nicht.«
»Was ist ein Pfeifer –«, setzte Blatt an und klang nicht besonders überzeugend, nicht einmal für die eigenen Ohren. Axilrad schenkte ihr keine Beachtung und begab sich stattdessen zur Tür; im Hinausgehen blaffte sie noch einen Befehl.
»Harrison, bereite ein Dutzend Schläfer vor! Das Stärkungsmittel ist fertig, in der karierten Flasche. Sobald sie bereit sind, sollen sie zum Krater gehen! Ich werde bald zurück sein, aber warte nicht auf mich; lass dir von dem Mädchen helfen. Du darfst sie nicht aus den Augen lassen!«
»Jawohl, gnädige Frau!«, antwortete Harrison und verneigte sich vor der geschlossenen Tür. Blatt beobachtete ihn sinkenden Mutes. Der Mann verhielt sich wie ein Sklave; er würde ihr wahrscheinlich keine große Hilfe sein.
»Sieh nach jedem Schläfer!«, instruierte er sie. »Sie müssen auf dem Rücken liegen. Wenn sie nicht mit dem Gesicht zur Decke schauen, drehst du sie entsprechend herum!«
»Warum?«, wollte Blatt wissen. Sie ging zur Tür und drückte die Klinke, aber es war abgeschlossen.
»Tu es einfach!«, kreischte Harrison. Er eilte an den Tisch und nahm einen langstieligen Silberlöffel und eine Glasflasche mit einem schachbrettartigen Muster auf, die mit einer schlammigen braungrünen Flüssigkeit gefüllt war.
»Ich werde überhaupt nichts tun, wenn Sie mir nicht sagen warum«, erklärte Blatt. Es gab noch eine Tür am anderen Ende des Raumes; sie lief darauf zu.
»Sie wird uns beide bestrafen, wenn die Schläfer nicht bereit sind!«, warnte Harrison. Er ging an das nächste Bett, goss etwas aus der Flasche in den Löffel und steckte ihn einer schlafenden Frau fachmännisch in den Mund. Sie schluckte, erzitterte sofort und setzte sich auf, ohne die Augen zu öffnen.
Schnell flößte Harrison die Mixtur noch zwei anderen Schläfern ein, dann musste er Flasche und Löffel absetzen, um den nächsten zu wenden, denn der schlief auf der Seite. Während er erneut den Löffel füllte, sprach er.
»Die Mixtur holt sie aus einem sehr tiefen Schlaf auf eine Bewusstseinsstufe, bei der sie Anweisungen empfangen und sich bewegen können. Wenn sie bereit sind, werde ich ihnen befehlen, durch die Tür dort zu gehen, die zum Krater führt.«
»Diese Tür?«, vergewisserte sich Blatt, denn sie hatte sie gerade öffnen wollen.
»Genau«, bekräftigte Harrison. »Du kannst also nicht entkommen. Man kann nirgendwohin. Selbst wenn du den Berg verlassen könntest – die Pflanzen würden dich erwischen. Du ahnst ja nicht, wie entsetzlich –«
»Und ob!«, widersprach Blatt. »Wie oft kommen diese Samenschoten herein?«
»Wenn du mir hilfst, werde ich versuchen, deine Fragen zu beantworten«, ächzte Harrison. Er drehte gerade einen anderen Schläfer um, einen sehr großen und schweren Mann.
Blatt sah erst ihn an, dann die Schläfer, und schüttelte den Kopf.
»Ich werde Ihnen nicht helfen, nur damit Lady Freitag diese Leute umbringen kann«, sagte sie. »Oder was immer sie mit ihnen vorhat.«
»Das sagst du jetzt«, meinte Harrison. »Als ich hier ankam, habe ich genauso gedacht. Aber wenn du essen und trinken und einen sicheren Platz zum Schlafen willst, dann wirst du deine Meinung bald ändern.«
Blatt antwortete nicht. Sie hatte vergessen, dass sie sich nicht im Haus befanden und deshalb für ihr leibliches Wohl sorgen mussten. Tatsächlich machte sie schon die bloße Erwähnung von Essen und Trinken plötzlich durstig. Aber das reichte noch nicht. Sie müsste noch sehr viel durstiger werden, ehe sie jemandem half, einen ganzen Haufen unschuldiger Menschen auf ihre Ermordung vorzubereiten..‹ oder Schlimmeres.
Lieber wollte sie einen Plan schmieden. Auf den Mariner konnte sie nicht zählen: Falls er überhaupt
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