Literaturgeschichte der USA
past»[ 37 ], dem «Staub der Vergangenheit»[ 38 ], mehr beschäftigt als mit der unvermittelten Gegenwart: «Our age is retrospective. It builds on the sepulchers of the fathers.»[ 39 ] («Unser Zeitalter ist retrospektiv. Es baut die Grabdenkmäler seiner Väter.»)[ 40 ] Als Ausweg aus dieser Rückgewandtheit auf überkommenes Wissen propagiert Emerson einen unbedarften und frischen Blick auf die Welt, der die Last der Tradition hinter sich lässt. Auch die folgenden Essays «Self Reliance» (1841) und «The American Scholar» (1837) bauen dieses Bewusstsein des unverstellten, individuellen Zugangs zur Welt bzw. Natur noch weiter aus. Dieser Neubeginn manifestiert sich auch in der Art und Weise, wie überbrachtes Wissen rezipiert werden soll, wenn Emerson einen individualistischen Zugang zu Literatur propagiert: «There is then creative reading as well as creative writing.»[ 41 ] («Wie es schöpferisches Schreiben gibt, so auch schöpferisches Lesen.»)[ 42 ] Dieser programmatische Bruch mit jeglicher Tradition in allen Lebensbereichen hatte natürlich auch für die amerikanische, sich von europäischen Vorbildern lösende Literatur weitreichende Folgen.
Bei Emerson sind wichtige Einflüsse der europäischen Romantik erkennbar, wie z.B. die direkte Beziehung des individuellen Selbst zur Natur. Damit verbunden ist der Glaube an die Möglichkeit, die Natur als Ausgangspunkt für eine transzendierende Selbsterkenntnis nützen zu können. Deutlich wird dieses Einswerden des Individuums mit der Natur in jener berühmten «transparent eyeball»-Passage aus Emersons «Nature»:
Standing on the bare ground, – my head bathed by the blithe air, and uplifted into infinite space, – all mean egotism vanishes. I become a transparent eye-ball; I am nothing; I see all; the currents of the Universal Being circulate through me; I am part or particle of God.[ 43 ]
Ich stehe auf der nackten Erde, mein Haupt umweht von linden Lüften und erhoben in die Unendlichkeit des Raums, und alle niedrige Selbstsucht fällt von mir ab. Ich werde ganz zum durchscheinenden Auge; ich selbst bin nichts und sehe doch alles; Ströme des allumfassenden Seins durchfluten mich; ich bin Teil oder Bestandteil Gottes.[ 44 ]
Emerson sieht das Individuum in einer Art mystischen Vereinigung mit dem Weltganzen, wobei sich aber die wahrnehmende Person selbst völlig zurücknimmt und sozusagen unsichtbar, aber dennoch wahrnehmend als «transparent eyeball» in der Natur aufgeht.
Dieses transzendentalistische Grundprinzip der Naturverbundenheit und bedingungslosen «Self-Reliance» fand in der Person des jungen Schriftstellers
Henry David Thoreau
(1817–1862) seine direkte und wohl auch radikalste Umsetzung. Der junge Thoreau arbeitete und lebte einige Zeit im Haushalt Emersons und steuerte Texte zum Sprachorgan der Transzendentalisten, der Zeitschrift
The Dial
, bei. Sein wichtigster Beitrag zur amerikanischen Literatur gelang ihm mit dem autobiographischen Roman
Walden
(1854), der seine persönlichen Erfahrungen während eines zweijährigen einsiedlerartigen Aufenthaltes in einer abgelegenen Hütte am Walden Pond nahe der Stadt Concord verarbeitet.
Literaturgeschichtlich stellt Thoreaus
Walden
einen Meilenstein in der Entwicklung der amerikanischen Autobiographie dar. Einerseits übernimmt Thoreau hier Elemente des von Benjamin Franklin vorgezeichneten Genres, andererseits bricht er mit der puritanischen Arbeitsethik und deren Innenschaupraxis. Gerade hier zeigt sich die von Emerson propagierte individuelle Konfrontation mit der Natur als möglicher Katalysator für persönliche Erkenntnis und Selbstverwirklichung, die im Laufe des 19. Jahrhunderts in unzähligen utopisch anmutenden Siedlungsexperimenten von Aussteigergemeinschaften propagiert wird.
Thoreaus
Walden
vermischt empirische Naturerfahrung mit transzendentalistischer Erkenntnis auf vielfältige Weise. Auffällig sind hier Thoreaus minutiöse Detailschilderungen und seine langen, listenartigen Aufzählungen von Flora, Fauna und Topographie des Einsiedlerumfelds am Walden Pond. Eindringliches Beispiel dieser zwanghaften Empirie ist der genaue Vermessungsplan des Sees, den Thoreau seinem Roman beifügte. Hier glaubte Thoreau in den Vermessungsdaten des Sees ein individuelles Beispiel kosmischer Harmonie der Natur aufzeigen zu können.
If we knew all the laws of Nature, we should need only one fact, or the description of one actual phenomenon, to infer all the particular results at that
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