Little Bee
umgedreht im Sand lag. Einige Planken waren zerbrochen. Es sah aus, als wäre es im Sturm ans Ufer gespült worden und dort liegengeblieben. Es war ausgeblichen von der Sonne. Die Farbe war abgeblättert. Selbst die Muscheln am Boot zerbröckelten. Die Jäger stießen mich unter das Boot und sagten, ich solle zuhören. Sie sagten, sie würden mich gehen lassen, wenn es vorbei sei. Unter dem Boot war es dunkel, und Krebse krochen herum. Sie vergewaltigten meine Schwester. Sie drückten sie gegen die Seite des Bootes, und dann vergewaltigten sie sie. Ich hörte sie stöhnen. Ich konnte nicht alles hören durch die Planken des Bootes. Das Geräusch war gedämpft. Ich hörte meine Schwester röcheln, als würde sie gewürgt. Ich hörte, wie ihr Körper gegen die Planken schlug. Es dauerte sehr lange. Der heiße Abschnitt des Tages kam, doch unter dem Boot war es kühl und dunkel. Zuerst rief meine Schwester Verse aus der Heiligen Schrift, doch später verließ sie der Verstand, und dann schrie sie die Lieder, die wir als Kinder gesungen hatten. Am Ende kamen nur noch Schreie. Zuerst waren es Schmerzensschreie, aber sie veränderten sich irgendwann und klangen wie die Schreie eines Neugeborenen. Es lag kein Kummer in ihnen. Sie waren automatisch. Sie gingen immer und immer weiter. Jeder Schrei war genau wie der vorherige, als würden sie von einer Maschine erzeugt.«
Ich blickte auf und sah, wie Sarah mich anstarrte. Ihr Gesicht war vollkommen weiß, und ihre Augen waren rot, und sie hatte den Mund mit den Händen bedeckt. Sie zitterte, und ich zitterte auch, weil ich das noch nie jemandem erzählt hatte.
»Ich konnte nicht sehen, was sie mit meiner Schwester taten. Die Planken waren auf der anderen Seite des Bootes zerbrochen. Dort konnte ich hindurchsehen. Den Mörder, der mit der Wunde am Hals, den konnte ich sehen. Er stand weit weg von seinen Männern. Er ging durch die Brandung. Er rauchte Zigaretten aus einem Päckchen, das er dem toten Wachmann aus der Tasche genommen hatte. Er schaute auf den Ozean hinaus. Es sah aus, als wartete er auf jemanden, der von dort kommen würde. Manchmal berührte er die Wunde am Hals mit der Hand. Seine Schultern waren gebeugt. Es war, als trüge er eine schwere Last.«
Sarah bebte am ganzen Körper, dass der Küchentisch vibrierte. Sie weinte.
»Deine Schwester. Deine schöne Schwester, oh, mein Gott, oh, Jesus, ich ...«
Ich wollte Sarah nicht weiter wehtun. Ich wollte ihr nicht erzählen, was passiert war, doch nun musste ich es. Ich konnte nicht aufhören zu reden, denn nun, da ich meine Geschichte begonnen hatte, wollte sie zu Ende erzählt werden. Wir können nicht entscheiden, wo wir anfangen und aufhören. Unsere Geschichten erzählen uns.
»Gegen Ende hörte ich, wie Nkiruka bettelte, sie sollten sie sterben lassen. Ich hörte die Jäger lachen. Dann hörte ich, wie die Knochen meiner Schwester einer nach dem anderen gebrochen wurden. So starb meine Schwester. Ja, sie war ein schönes Mädchen, du hast recht. In meinem Dorf sagte man, sie sei die Art Mädchen, bei der ein Mann allen Ärger vergisst. Doch manchmal wird es nicht so, wie die Leute sagen. Als die Männer und die Hunde mit meiner Schwester fertig waren, warfen sie nur die Teile von ihr ins Meer, die nicht gefressen werden konnten.«
Sarah hörte auf zu weinen und zu zittern. Sie war ganz still. Sie hielt sich an ihrem Tee fest, als würde sie sonst weggeweht.
»Und du«, flüsterte sie. »Was ist mit dir passiert?« Ich nickte.
»Am Nachmittag wurde es sehr heiß, sogar unter dem Boot. Ein Wind kam vom Meer auf. Er wehte Sand gegen die Seite des Bootes. Der Sand zischte an den Planken. Ich schaute durch die Ritzen, um zu sehen, was geschah. Jenseits der Brandung segelten Möwen im Wind. Sie waren sehr still. Manchmal stürzten sie sich ins Meer und kehrten mit silbernen Fischen im Schnabel zurück. Ich schaute sie ganz genau an, weil ich dachte, dass das, was meiner Schwester passiert war, jetzt auch mir passieren würde, und ich wollte meine Gedanken an etwas Schönes heften. Doch die Männer holten mich nicht. Als sie mit meiner Schwester fertig waren, gingen die Jäger und die Hunde in den Dschungel, um zu schlafen. Der Anführer aber kehrte nicht zu seinen Männern zurück. Er stand in der Brandung. Die Wellen brachen sich an seinen Knien. Er neigte sich in den Wind. Später wurde es so heiß, dass die Möwen nicht mehr fischten. Sie trieben nur auf den Wellen dahin, die Köpfe in die Brust gegraben,
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