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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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mein Studienfach. Alle meine Lehrer sagten, ich solle Jura studieren, worauf ich mich natürlich für Journalismus einschrieb. Ich lernte Andrew O'Rourke kennen, als wir beide für eine Londoner Abendzeitung arbeiteten. Sie schien den Geist der Stadt perfekt zu verkörpern. Einunddreißig Seiten Promi-Klatsch und London-Nachrichten und eine Seite Nachrichten aus der Welt jenseits des Londoner Stadtautobahnrings, die die Zeitung als eine Art Memento mori anbot.
    London machte Spaß. Männer rauschten wie große Schiffe hindurch, manche schon havariert. Ich mochte Andrew, weil er nicht wie die anderen war. Vielleicht lag es an seinem irischen Blut, aber er ließ sich nicht einfach vom Strom fortreißen. Andrew war der Auslandsredakteur der Zeitung, ein bisschen so etwas wie die Schweizer Marine. Er wurde wegen seiner Sturheit gefeuert, und ich nahm ihn mit nach Hause, damit er meine Eltern kennenlernte. Dann nahm ich seinen Namen an, damit niemand anders ihn bekam.
    O'Rourke ist ein harter Name, und ich stellte mir vor, dass mein Glück ihn sanfter machen würde. Doch als Sarah O'Rourke verlor ich die Gewohnheit, glücklich zu sein. Sie wich einem Gefühl verwunderter Entfremdung. Die Ehe kam so plötzlich. Wenn ich in Ruhe darüber nachgedacht hätte, wäre mir wohl klar geworden, dass Andrew und ich uns zu ähnlich waren - dass wir gleich stur waren; dass unsere Bewunderung füreinander unweigerlich in gegenseitige Zermürbung umschlagen würde. Wir hatten nur deshalb so schnell geheiratet, weil meine Mutter mich angefleht hatte, Andrew nicht zu heiraten. In einer Ehe muss einer weich sein, sagte sie. Einer von euch muss auch mal sagen können: »Gut, dann machen wir es so, wie du willst.« Das wirst nicht du sein, mein Liebes, also muss es der Mann sein.
    Andrew O'Rourkes Namen anzunehmen war die zweite wirkliche Entscheidung meines Lebens, und sie war falsch. Ich nehme an, Little Bee würde mich verstehen. Als wir beide unseren wirklichen Namen aufgaben, waren wir verloren.
    Du solltest sie wegschicken, hatte Lawrence gesagt. Aber nein, nein, das konnte ich nicht. Wir waren durch das, was am Strand geschehen war, verbunden. Sie wegzuschicken wäre, als würde ich einen Teil meiner selbst verlieren. Als würde ich einen Finger oder Namen abwerfen. Das würde ich nicht noch einmal zulassen. Ich saß auf dem Boden und sah meinen friedlich schlafenden Sohn an. Ich beneidete ihn, weil er so schlafen konnte.
    Nach Afrika hatte ich eine ganze Woche nicht geschlafen. Die Mörder gingen einfach über den Strand davon, und Andrew und ich kehrten schweigend aufs Hotelgelände zurück. Nach einer qualvollen halben Stunde mit dem Hotelarzt, der den Stumpf meines Fingers in Mull wickelte und fest verband, machten wir uns ans Packen. Ich war wie betäubt. Auf dem Rückflug nach London war ich irgendwie erstaunt, so wie damals am Ende meiner Kindheit, dass eine so große Geschichte einfach ohne mich weitergehen konnte. Aber so ist es wohl mit Mördern. Was für einen selbst das Ende aller Unschuld ist, ist für sie nur ein beliebiger Dienstagmorgen. Sie kehren zurück auf ihren Planeten des Todes, ohne mehr Gedanken an die Welt der Lebenden zu verschwenden als unsereins an ein Touristenziel: einen Ort, den man kurz besucht und von dem man mit ein paar Andenken und dem nagenden Gefühl zurückkehrt, dass man zu viel dafür bezahlt hat.
    Auf dem Rückflug hielt ich meine verletzte Hand hoch, um das schmerzhafte Pochen zu mildern. Durch den Nebel der Schmerzmittel schlich sich ein unerwarteter Gedanke heran: dass es vernünftig wäre, Andrew meine Verletzung niemals berühren zu lassen, weder jetzt noch später. In Gedanken sah ich die Mörder, die die Mädchen über den Strand geschleppt hatten. Ich sah sie verschwinden. Ich sah sie über den Horizont meiner Welt in das gefährliche Land meiner Seele gleiten, in dem ich nachts wach lag und daran dachte, was diese Männer den beiden wohl angetan hatten.
    Es verblasste nicht. Aber ich kehrte zum Magazin zurück. Die Gründung von Nixie war die dritte wirkliche Entscheidung meines Lebens gewesen, und ich weigerte mich, sie je zu bereuen. Auch würde ich Entscheidung vier nicht zurücknehmen - Charlie, die beste Entscheidung von allen - oder Entscheidung fünf, Lawrence, den ich wirklich aufgeben wollte, bis mir das Grauen in Nigeria zeigte, dass es unnötig war. Ich konzentrierte mich ganz darauf, mein Leben in den Griff zu bekommen, und zwang mich, den Strand entfernt und

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