Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
Vom Netzwerk:
meines Landes angebaut wird, da, wo das Land in die Wolken steigt und die Bäume sich wegen der feuchten Luft lange, weiche Moosbärte wachsen lassen. Dort im Osten erstrecken sich die Plantagen über die grünen Hügelflanken und verschwinden im Nebel. Der Tee, den sie dort anbauen, verschwindet ebenfalls. Ich glaube, alles wird exportiert. Ich selbst hatte niemals Tee geschmeckt, bis man mich zusammen mit ihm exportierte. Das Schiff, auf dem ich in euer Land gereist bin, war mit Tee beladen. Er war im Frachtraum in dicken braunen Papiersäcken gestapelt. Ich grub mich zwischen den Säcken ein und versteckte mich dort. Nach zwei Tagen war ich zu schwach, um mich weiter zu verstecken, und kam aus dem Frachtraum heraus. Der Kapitän des Schiffes sperrte mich in eine Kabine. Er sagte, es sei nicht sicher, mich mit der Mannschaft unterzubringen. Also schaute ich drei Wochen und fünftausend Meilen lang durch ein kleines rundes Fenster auf den Ozean und las ein Buch, das mir der Kapitän gegeben hatte. Das Buch hieß Große Erwartungen und handelte von einem Jungen namens Pip, doch ich weiß nicht, wie es ausging, weil das Schiff vorher in Großbritannien ankam und der Kapitän mich der Einwanderungsbehörde übergab.
    Drei Wochen und fünftausend Meilen auf einem Teeschiff - vielleicht riecht meine Haut noch danach, wenn du daran kratzt. Als sie mich ins Abschiebegefängnis steckten, gaben sie mir eine braune Decke und eine weiße Plastiktasse mit Tee. Und als ich ihn schmeckte, wollte ich nur noch zurück auf das Schiff und nach Hause, in mein Land. Tee ist der Geschmack meines Landes: Er ist bitter und warm, stark und scharf vor lauter Erinnerungen. Er schmeckt nach Sehnsucht. Er schmeckt nach der Entfernung zwischen da, wo man ist, und dort, wo man herkommt. Und er verschwindet - der Geschmack verschwindet von der Zunge, wenn die Lippen noch heiß vom Tee sind. Er verschwindet wie die Plantagen, die sich hoch in den Nebel erstrecken.
    Ich habe gehört, dass euer Land mehr Tee trinkt als jedes andere. Wie traurig muss euch das machen - wie Kinder, die sich nach ihren abwesenden Müttern sehnen. Es tut mir leid.
    Wir tranken Tee in Sarahs Küche. Charlie schlief noch oben in seinem Zimmer. Sarah legte ihre Hand auf meine.
    »Wir müssen über das, was geschehen ist, sprechen«, sagte sie. »Bist du dazu bereit? Darüber zu sprechen, was passiert ist, nachdem die Männer euch am Strand mitgenommen hatten?«
    Ich antwortete nicht sofort. Ich saß am Tisch, meine Augen wanderten durch die Küche und nahmen all die neuen und wunderbaren Dinge auf. Beispielsweise gab es in Sarahs Küche einen Kühlschrank, einen riesigen silbernen Kasten mit eingebauter Eismaschine. Das Vorderteil der Eismaschine war aus durchsichtigem Glas, und man konnte sehen, was darin passierte. Sie machte einen kleinen, schimmernden Eiswürfel. Er war beinahe fertig. Ihr werdet über mich lachen - das dumme Mädchen vom Dorf -, weil ich einen Eiswürfel so anstarrte. Ihr werdet lachen, aber ich sah zum ersten Mal, dass Wasser fest werden kann. Es war wunderschön - denn wenn das mit Wasser möglich war, war es vielleicht auch mit allem anderen möglich, das ständig entfloh und versickerte und in Sand oder Nebel verschwand. Alles konnte wieder fest werden, ja, sogar die Zeit, als ich mit Nkiruka im roten Staub unter der Schaukel spielte. In jenen Tagen glaubte ich, solche Dinge wären in eurem Land möglich. Ich wusste, dass große Wunder auf mich warteten, wenn ich nur die Mitte, die Quelle all dieser kleinen Wunder entdecken könnte.
    Hinter dem kalten Glas zitterte der Eiswürfel an seinem kleinen Metallarm. Er glänzte wie eine menschliche Seele. Sarah schaute mich an. Ihre Augen schimmerten.
    »Bee«, sagte sie. »Ich muss es wirklich wissen. Bist du bereit, darüber zu sprechen?«
    Der Eiswürfel war fertig. Mit einem klonk fiel er in die Auffangschale. Sarah blinzelte. Die Eismaschine begann mit einem neuen Würfel.
    »Sarah«, sagte ich, »du brauchst nicht zu wissen, was geschehen ist. Es war nicht deine Schuld.«
    Sarah hielt meine Hände. »Bitte, Bee«, sagte sie. »Ich muss es wissen.«
    Ich seufzte. Ich war wütend. Ich wollte nicht darüber sprechen, doch wenn diese Frau mich dazu zwang, würde ich es schnell hinter mich bringen und ihr nichts ersparen.
    »Okay, Sarah«, sagte ich. »Nachdem ihr gegangen wart, schleppten uns die Männer über den Strand. Wir gingen eine Weile, vielleicht eine Stunde. Wir kamen zu einem Boot, das

Weitere Kostenlose Bücher