Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
Vom Netzwerk:
schien ernsthaft zu glauben, Großbritannien werde demnächst im Meer versinken. Die Kriminalität breitete sich aus, die Schulen versagten, die Einwanderung nahm zu und die öffentliche Moral ab. Alles schien zu versickern und zu wuchern und zu verkommen, und ich fand das scheußlich. Nun, da Charlie fast zwei Jahre alt war, blickte ich in die Zukunft, in der mein Kind würde leben müssen, und erkannte, dass ätzende Kritik vielleicht nicht die konstruktivste Strategie war. Warum musst du immer so verdammt negativ sein?, hatte ich Andrew gefragt. Wenn es mit dem Land wirklich bergab geht, warum schreibst du dann nicht über die Menschen, die etwas dagegen tun ?
    - Ach ja? Wen denn zum Beispiel?
    - Na, zum Beispiel über das Innenministerium. Die stehen doch an vorderster Front.
    - Das ist genial, Sarah, ehrlich. Denn dem Innenministerium vertraut ja auch jeder, nicht? Und wie würdest du deinen optimistischen Artikel betiteln?
    - Na, vielleicht >Die Schlacht um England    Ja, ich weiß, ich weiß. Andrew explodierte vor Lachen. Wir hatten einen wahnsinnigen Streit. Ich sagte, dass ich endlich etwas Konstruktives mit meinem Magazin anfangen wollte. Er erwiderte, dass ich anscheinend endlich der Demographie meiner Zeitschrift entwachsen sei. Mit anderen Worten, ich wurde nicht nur alt, sondern alles, wofür ich die vergangenen zehn Jahre gearbeitet hatte, war unreif und kindisch gewesen. Das war so gezielt verletzend wie ein Schnitt mit einem Skalpell.
    Ich war immer noch außer mir, als ich im Innenministerium eintraf. Du bist und bleibst ein Surrey-Mädel, was?, war Andrews letzter Treffer gewesen. Was genau soll das Innenministerium denn für dieses verdammte Land tun, Sarah? Die Proleten mit Spitfire-Bombern beharken? Andrew besaß die Gabe, die einmal geschlagenen Wunden geschickt zu vertiefen. Es war nicht unser erster Streit seit Charlies Geburt, und am Ende kam er mir immer mit meiner Herkunft, was mich ungeheuer wütend machte, weil ich daran nichts ändern konnte.
    Ich stand in der Eingangshalle, während mich die trübseligen Sachbearbeiter umflossen. Ich blinzelte, schaute auf meine Schuhe und hatte den ersten vernünftigen Gedanken seit Tagen. Mir wurde klar, dass ich nicht hier war, um meinen Mitarbeiterinnen etwas zu beweisen. Chefredakteurinnen wurden nicht wieder zur Reporterin, um ein paar Pfund einzusparen. Ich begriff, dass ich einzig und allein hier war, um Andrew etwas zu beweisen.
    Und als Lawrence Osborn Punkt zehn Uhr herunterkam und sich vorstellte - groß, grinsend, nicht auffallend attraktiv -, wurde mir klar, dass das, was ich Andrew beweisen wollte, nicht unbedingt journalistischer Natur war.
    Lawrence schaute auf sein Klemmbrett. »Merkwürdig«, sagte er, »man hat dieses Interview als >nicht feindselig< deklariert.«
    Ich merkte, wie unfreundlich ich ihn angesehen hatte, und wurde rot. »Entschuldigen Sie bitte. Bin mit dem falschen Fuß aufgestanden.«
    »Kein Problem. Sagen Sie nur, dass Sie versuchen werden, nett zu mir zu sein. Ihr Journalisten habt es zurzeit ja auf uns abgesehen.«
    Ich lächelte. »Ich werde nett zu Ihnen sein. Ich finde, Sie alle leisten großartige Arbeit.«
    »Ach, da haben Sie die Statistiken noch nicht gesehen.«
    Ich musste lachen, und Lawrence hob die Augenbrauen.
    »Sie halten das für einen Scherz«, sagte er.
    Seine Stimme war flach und unauffällig. Er klang nicht nach Elite-Internat. Seine Vokale waren ein bisschen rau, wie eine Wildheit, die er zu zügeln versuchte. Es war schwer, seine Stimme einzuordnen. Er führte mich durchs Gebäude. Wir besichtigten die Abteilung für die Beschlagnahmung krimineller Gelder und das Amt für Kriminalstatistik. Das Klima war sachlich und entspannt. Ein bisschen Kriminalität bekämpfen, ein bisschen Kaffee trinken, schien das Motto zu lauten. Wir gingen durch unnatürliche Galerien, die mit Naturstein ausgelegt und von natürlichem Licht erhellt waren.
    »Sagen Sie mir, Lawrence, was läuft denn nun falsch in Großbritannien ?«
    Er blieb stehen und drehte sich um. Sein Gesicht schimmerte in einem sanften gelben Strahl, der durch buntes Glas fiel.
    »Da fragen Sie den Falschen. Wenn ich die Antwort darauf wüsste, würde ich es in Ordnung bringen.«
    »Ist das denn nicht die Aufgabe des Innenministeriums? Es in Ordnung zu bringen, meine ich?«
    »Meine nicht. Man hat mich probeweise hier und da in einer der Abteilungen eingesetzt, aber ich war wohl nicht mit dem Herzen dabei. Daher bin ich jetzt im

Weitere Kostenlose Bücher