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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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»Mein Gott! Ich meine, was schreibt man denn da?«
    »Fragen Sie nicht mich. Kannten Sie ihn gut?«
    Lawrence schüttelte den Kopf. »Ich bin ab und zu mit ihm im selben Raum gewesen, das ist alles. Er war ein Trottel, nur durfte man das nicht sagen, weil er blind ist. Ich nehme an, er hat es nur deshalb so weit gebracht. Er beugte sich immer leicht nach vorn und hatte die Hand am Halsband seines Hundes. Seine Hand zitterte ein bisschen. Ich glaube, das war gespielt. Wenn er Blindenschrift las, zitterte er nicht.«
    »Hört sich an, als würden Sie ihn auch nicht sonderlich vermissen.«
    Lawrence zuckte die Achseln. »Ich habe ihn durchaus bewundert. Er war schwach und hat daraus eine Stärke gemacht. Ein ideales Vorbild für Loser wie mich.«
    »Oh. Sie betreiben Selbstzerfleischung.«
    »Ach ja?«
    »Ja, aber das funktioniert nicht. Das haben Untersuchungen gezeigt. In den Umfragen tun Frauen nur so, als würde es ihnen gefallen.«
    »Vielleicht tue ich auch nur so, als würde ich mich selbst zerfleischen. Vielleicht bin ich in Wirklichkeit ein Siegertyp. Vielleicht war es der Gipfel meiner persönlichen Ambitionen, die Pressehure des Innenministeriums zu werden.«
    Er sagte das alles, ohne eine Miene zu verziehen. Er schaute mir in die Augen. Ich wusste nicht, wo ich hinsehen sollte.
    »Kommen wir zurück zu meinem Artikel.«
    »Ja«, sagte Lawrence. »Wer weiß, wohin das sonst noch führt.«
    Ich spürte, wie das Adrenalin schmerzhaft durch meinen Körper schoss. Irgendwie hatten wir unmerklich eine Grenze überschritten. Wir hatten es beide zugegeben, wenn auch in relativ kontrollierter Form, so dass es immer noch ein Zurück gab. Doch da war es, wenn wir es wollten, hing zwischen uns wie an einer straff gespannten Nabelschnur: eine Affäre zwischen Erwachsenen, winzig und doch schon vollständig geformt, mit all den verbotenen Stelldicheins und gedämpften Gefühlsausbrüchen und dem niederschmetternden Verrat, der schon im Keim angelegt war wie bei einem Fötus die Knospen für Finger und Zehen.
    Ich weiß noch, wie ich auf die Teppichfliesen in seinem Büro hinunter schaute. Ich sehe sie noch mit hyperrealer Klarheit vor mir, jede noch so winzige graue Acrylfaser, die im Neonlicht glänzte, grob und schimmernd und eng gerollt, lasziv, obszön, das graue Schamhaar einer alternden Behörde. Ich starrte sie an, als hätte ich noch nie Teppichfliesen gesehen. Ich wollte Lawrence nicht in die Augen schauen.
    »Bitte«, sagte ich. »Hören Sie auf.«
    Lawrence blinzelte und neigte unschuldig den Kopf. »Womit?«
    Dann war es plötzlich vorbei, fürs Erste. Ich konnte wieder atmen. Die Neonröhre über uns summte laut.
    »Warum musste der Innenminister zurücktreten?«
    Lawrence zog die Augenbraue hoch. »Sagen Sie nicht, Sie wüssten das nicht. Ich dachte, Sie sind Journalistin.«
    »Keine ernsthafte. Nixie hat etwa so viel Ahnung von Tagespolitik wie der Economist von Schuhen. Man weiß gerade das Nötigste.«
    »Der Innenminister musste zurücktreten, weil er die Ausstellung eines Visums für das Kindermädchen seiner Geliebten beschleunigt hat.«
    » Glauben Sie das wirklich ?«
    »Im Grunde ist es mir egal. Aber so dumm kam er mir eigentlich nicht vor. Hören Sie sich das an.«
    Vor seiner Tür erklang noch immer Gelächter und Geschrei. Ich hörte, wie Papier zu einem Ball zerknüllt wurde. Füße schleiften über den Teppich. Die Kugel landete in einem metallenen Papierkorb.
    »Sie spielen Flurfußball«, bemerkte Lawrence. »Die feiern tatsächlich.«
    »Meinen Sie, es war eine Falle?«
    Er seufzte. »Ich werde nie erfahren, was sie ihm angetan haben, Sarah. Dazu bin ich nicht auf der richtigen Schule gewesen. Meine Aufgabe besteht lediglich darin, dem Mann einen Abschiedsbrief zu schreiben. Wie würden Sie ihn formulieren?«
    »Schwer zu sagen, wenn Sie ihn nicht richtig kannten. Ich denke, Sie sollten bei Allgemeinplätzen bleiben.«
    Lawrence stöhnte. »Das liegt mir gar nicht. Ich bin ein Mensch, der wissen muss, wovon er spricht. Ich kann nicht irgendeinen Quatsch schreiben.«
    Ich schaute mich in seinem Büro um.
    »Mir geht's genauso«, sagte ich. »Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, Sie scheinen mein Interviewpartner geworden zu sein.«
    »Und?«
    »Sie machen es mir nicht gerade leicht.«
    »In welcher Hinsicht?«
    »Sie haben dieses Büro nicht besonders persönlich gestaltet, oder? Keine Golftrophäen, keine Familienfotos, nichts, was mir den geringsten Hinweis auf Sie als Mensch liefern

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