Little Bee
entscheide.«
»Ich verlange absolut nichts Derartiges. Ich will nur sagen, dass du dich zwischen deinem Leben und ihrem Leben entscheiden musst. Irgendwann musst du beginnen, an deine und Charlies Zukunft zu denken. Nächstenliebe ist wunderbar, Sarah, aber die Logik muss dir auch sagen, wo sie aufhört.«
Ich schlug mit meiner verstümmelten Hand auf den Tisch, die Finger gespreizt. »Ich habe mir für dieses Mädchen den Finger abgeschnitten. Willst du entscheiden, wo meine Logik etwas beenden muss, das so angefangen hat? Willst du wirklich, dass ich diese Entscheidung treffe? Ich habe mich von meinem verdammten Finger getrennt. Meinst du, ich würde mich nicht auch von dir trennen?«
Schweigen. Lawrence stand auf. Sein Stuhl scharrte über den Boden. »Es tut mir leid. Ich hätte nicht kommen sollen.«
»Nein, vielleicht nicht.«
Ich saß am Küchentisch und hörte, wie Lawrence seinen Mantel von der Garderobe nahm und nach der Reisetasche griff. Als ich die Tür gehen hörte, stand ich auf. Er war auf halber Höhe des Vorgartens, als ich sie öffnete.
»Lawrence?«
Er drehte sich um.
»Wohin gehst du? Du kannst nicht nach Hause.«
»Oh. Daran habe ich gar nicht gedacht.«
»Du bist angeblich in Birmingham.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich gehe ins Hotel. Das ist gut für mich. Ich werde ein Buch über Führungsqualitäten lesen. Womöglich lerne ich was dabei.«
» Oh, Lawrence, komm her.«
Ich streckte die Arme aus. Drückte mein Gesicht an seinen Hals und umarmte ihn, während er reglos dastand.
Ich atmete seinen Geruch ein und erinnerte mich an all die Nachmittage im Hotel, an denen wir uns aneinander berauscht hatten.
»Du bist wirklich ein Loser«, sagte ich.
»Ich komme mir furchtbar blöd vor. Ich hatte das alles so schön geplant. Ich hatte mir frei genommen, die Geschichte für Linda zusammengebastelt und sogar Spielsachen für die Kinder gekauft, falls ich sie auf dem Rückweg vergessen sollte. Alles war vorbereitet. Ich dachte, es wäre eine nette Überraschung für dich und ... na ja. Eine Überraschung war es jedenfalls, oder?«
Ich streichelte sein Gesicht. »Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich so unfreundlich zu dir war. Danke, dass du gekommen bist. Bitte geh nicht ins Hotel, ich will nicht, dass du allein da sitzt, das könnte ich nicht ertragen. Bleib bitte hier.«
»Was? Jetzt?«
»Ja. Bitte.«
»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, Sarah. Vielleicht sollte ich einfach ein bisschen Abstand gewinnen und in Ruhe darüber nachdenken, was wir einander bedeuten. Was du vorhin gesagt hast, von wegen trennen ...«
»Hör auf, du hinterhältiger Mistkerl. Hör auf, bevor ich es mir anders überlege.«
Lawrence lächelte fast.
Ich verschränkte die Finger hinter seinem Nacken. »Eins habe ich vorhin nicht gesagt: Mich von dir zu trennen würde mehr wehtun, als mir den Finger abzuschneiden.«
Er starrte mich lange an und sagte dann: »Oh, Sarah.« Wir gingen nach oben, und erst als wir schon dabei waren, wurde mir klar, dass wir in dem Bett Sex hatten, das ich mit Andrew geteilt hatte. Ich konzentrierte mich auf Lawrence, vergrub mein Gesicht in dem weichen Haar auf seiner Brust, schälte ihn aus den Kleidern, und dann passierte irgendetwas - mein BH-Träger verfing sich irgendwo, Lawrences Gürtelschnalle hakte - ich weiß nicht mehr, was es war, aber es hemmte den Fluss, und da wurde mir bewusst, dass Lawrence auf Andrews Seite des Bettes lag, dass seine Haut es dort berührte, wo Andrews Haut es berührt hatte, dass sich Lawrences Rücken, glatt und heiß und schweißfeucht, über der Kuhle wölbte, die Andrew in der Matratze hinterlassen hatte. Ich zögerte - erstarrte. Lawrence spürte es wohl und machte weiter, schob sich auf mich. Ich war so dankbar, dass er uns ohne weiteres über diesen Moment hinweghalf. Ich zerfloss in der Glätte seiner Haut, dem Feingefühl seiner Bewegungen, seiner Leichtigkeit. Lawrence war groß, aber schmal gebaut. Er presste mein Becken nicht heftig zusammen, drückte mir nicht den Atem aus den Lungen, es war nicht wie mit Andrews überwältigender Schwerkraft, die mich beim Sex vor Resignation ebenso wie vor Vergnügen stöhnen ließ. Das liebte ich am Sex mit Lawrence - die herrliche, schwindelerregende Leichtigkeit. Doch an diesem Abend stimmte etwas nicht. Vielleicht lag es an Andrews Gegenwart, die diesen Raum so sehr durchdrang. Seine Bücher und Papiere waren noch überall, in Regale gestopft, in den Ecken verstreut,
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