Little Bee
am Telefon. Dies waren zwei Dinge, die ich nicht von ihm kannte. Etwas nicht wissen und weinen. Als ich Andrew in der knisternden Leitung weinen hörte, musste ich auch weinen. Als wir beide fertig waren, herrschte Schweigen. In diesem Schweigen lag eine neue Nuance: das Wissen, dass es immerhin noch etwas gab, um das man weinen konnte. Diese Erkenntnis schwebte zwischen uns in der Leitung. Zaghaft, wie ein Leben, das noch geschrieben werden will.
»Bitte, Andrew. Vielleicht brauchen wir einen Tapetenwechsel. Einen Neuanfang.«
Pause. Er räusperte sich. »Ja. In Ordnung.«
»Wir müssen Abstand gewinnen. Wir müssen weg aus London und von unserer Arbeit und sogar von Charlie - wir können ihn ein paar Tage bei meinen Eltern lassen. Wir brauchen Urlaub.«
Andrew stöhnte. »Oh Gott. Urlaub?«
»Ja. Andrew. Bitte.«
»Himmel. Na schön. Wo?«
Ich rief ihn am nächsten Tag wieder an.
»Ich habe hier ein Werbegeschenk - Ibeno Beach in Nigeria, der Rückflug ist offen. Wir können am Freitag fliegen.«
»Diesen Freitag?«
»Du kannst deine Kolumne vorher abgeben und bist rechtzeitig für die nächste zurück.«
»Aber Afrika?«
»Es gibt einen Strand, Andrew. Hier regnet es, und dort herrscht Trockenzeit. Na los, lass uns ein bisschen Sonne tanken.«
»Willst du wirklich nach Nigeria? Wieso nicht Ibiza oder die Kanaren?«
»Sei nicht so langweilig, Andrew. Es ist doch nur ein Strandurlaub. Wie schlimm kann das denn sein?«
Ernste Zeiten. Wenn sie erst herangerollt sind, hängen sie wie Kumuluswolken über einem. So war es auch bei mir und Andrew, nachdem wir aus Afrika zurückgekehrt waren. Erst Schock, dann Schuldzuweisungen. Dann die beiden furchtbaren Jahre mit seinen zunehmenden Depressionen und meiner Affäre mit Lawrence, die ich einfach nicht beenden konnte.
Ich muss wohl auch depressiv gewesen sein, die ganze Zeit über. Man reist hierhin und dorthin, will unter der Wolke weg, und nichts funktioniert, und dann begreift man irgendwann, dass man das Wetter mit sich herumgetragen hat. Das erklärte ich Little Bee an dem Nachmittag, an dem wir beide Batman aus dem Kindergarten abgeholt hatten. Ich saß mit ihr am Küchentisch und trank Tee.
»Weißt du was, Bee, ich habe über das nachgedacht, was du gesagt hast, dass du hierbleiben könntest. Dass wir einander helfen. Ich glaube, du hast recht. Wir beide müssen jetzt nach vorn blicken.«
Little Bee nickte. Batman spielte unter dem Tisch mit einer Batman-Actionfigur. Der kleinere Batman schien einen verzweifelten Kampf gegen eine halb volle Schüssel Cornflakes auszutragen. Ich fing an zu erklären, wie ich Little Bee helfen wollte.
»Zuerst werde ich versuchen, bei der Behörde den zuständigen Sachbearbeiter ausfindig zu machen - Charlie, du sollst nicht mit dem Essen spielen - den Sachbearbeiter ausfindig zu machen und festzustellen, wo deine Unterlagen aufbewahrt werden. Dann können wir - bitte, Charlie, verstreu die Dinger nicht überall, wie oft muss ich dir das sagen - dann können wir versuchen, gegen deinen rechtlichen Status Berufung einzulegen und so weiter. Ich habe mir das im Internet angesehen, und anscheinend - Charlie! Bitte! Wenn ich den Löffel noch einmal aufheben muss, nehme ich dir die Batman-Figur weg - und sofern wir eine befristete Aufenthaltserlaubnis für dich bekommen, kann man einen Einbürgerungstest arrangieren, der gar nicht so schwer ist - Charlie! Herrgott noch mal! So, das reicht. Raus mit dir. Sofort! Raus aus der Küche, und komm zurück, wenn du wieder brav bist - es geht nur um die englischen Könige und Königinnen und den Bürgerkrieg und so weiter, ich kann dir bei der Vorbereitung helfen, und dann - oh, Charlie, oh du meine Güte, es tut mir leid, ich wollte dich nicht zum Weinen bringen. Tut mir leid, Batman. Es tut mir so leid. Komm her.«
Batman wand sich aus meinen Armen. Seine Unterlippe bebte, und sein Gesicht wurde rot, und er heulte los, ergab sich ganz und gar seinem Kummer, wie es nur kleine Kinder und Superhelden können, ganz aufrichtig, in dem Wissen, dass das Elend unendlich und unersättlich ist. Little Bee streichelte Batmans Kopf, und er vergrub sein maskiertes Gesicht an ihrem Bein. Ich sah seinen kleinen Umhang beben, während er schluchzte.
»Oh Bee«, sagte ich. »Es tut mir leid, ich bin im Augenblick zu nichts zu gebrauchen.«
Sie lächelte. »Schon gut, Sarah, schon gut.«
Der Wasserhahn in der Küche tropfte. Um etwas zu tun, stand ich auf und drehte ihn fest zu, aber er
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