Little Bee
abendlichen Stimmen der Mütter, die normale Kinder zum Essen hereinriefen.
Nachdem ich Charlie ins Bett gebracht hatte, machte ich Abendessen. Lawrence und Little Bee saßen am Küchentisch. Als ich hinten im Schrank nach Pfeffer wühlte, entdeckte ich eine halbvolle Tüte Amaretti, die Andrew so geliebt hatte. Ich roch heimlich daran, hielt das Päckchen an die Nase, wobei ich Lawrence und Little Bee den Rücken zuwandte. Der süßliche, scharfe Geruch von Aprikosen und Mandeln erinnerte mich daran, wie Andrew in seinen schlaflosen Nächten durchs Haus gewandert war. In den frühen Morgenstunden kam er zurück ins Bett und roch nach diesen Keksen. Zum Ende hin lebte mein Mann nur noch von sechs Amaretti und einer Cipralex am Tag.
Ich hielt Andrews Kekse in der Hand. Ich spielte mit dem Gedanken, sie wegzuwerfen, doch ich konnte es nicht. Wie doppelzüngig die Trauer doch ist, dachte ich. Hier stehe ich, zu sentimental, etwas wegzuwerfen, das Andrew ein bisschen Trost verschafft hat, und koche gleichzeitig Abendessen für Lawrence. Plötzlich kam ich mir wie eine furchtbare Verräterin vor. Genau darum sollte man seinen Geliebten nicht ins Haus lassen, dachte ich.
Als das Essen fertig war - ein Champignonomelett, leicht angebrannt, weil ich an Andrew gedacht hatte -, setzte ich mich zu Lawrence und Little Bee an den Tisch. Es war furchtbar - sie sagten kein Wort, und mir wurde auf einmal klar, dass sie die ganze Zeit nicht miteinander gesprochen hatten, während ich kochte. Wir aßen schweigend, nur das Besteck klapperte. Schließlich seufzte Little Bee, rieb sich die Augen und ging nach oben ins Bett, das ich ihr im Gästezimmer zurechtgemacht hatte.
Ich warf die Teller in die Spülmaschine und die Bratpfanne ins Spülbecken.
»Was ist denn?«, fragte Lawrence. »Was habe ich getan?«
»Du hättest dich wenigstens bemühen können.«
»Nun, ja. Ich dachte, ich wäre heute Abend mit dir allein. Die Situation war nicht leicht für mich.«
»Sie ist mein Gast, Lawrence. Du könntest immerhin höflich sein.«
»Ich glaube, du weißt überhaupt nicht, in was du dich da verstrickst, Sarah. Ich glaube, dass es dir nicht guttut, das Mädchen hier zu haben. Wann immer du sie siehst, wirst du an das erinnert, was passiert ist.«
»Ich habe zwei Jahre lang verdrängt, was an jenem Strand geschehen ist. Ich habe es ignoriert, und es hat mich vergiftet. Andrew hat es genauso gemacht, und es hat ihn am Ende umgebracht. Ich lasse nicht zu, dass es auch mich und Charlie tötet. Ich werde Little Bee helfen und alles in Ordnung bringen, und dann kann ich mein Leben weiterleben.«
»Sicher, aber was willst du tun, um es in Ordnung zu bringen? Du weißt doch, wie die Zukunft dieses Mädchens höchstwahrscheinlich aussieht, oder? Man wird sie abschieben.«
»Ich bin sicher, dass es nicht so weit kommt.«
»Sarah, wir haben eine ganze Abteilung, die dafür sorgt, dass es sehr wohl dazu kommen wird. Nigeria gilt offiziell als ziemlich sicher, und sie gibt selber zu, dass sie hier keine Verwandten hat. Es gibt verdammt noch mal keinen Grund, sie hierzubehalten.«
»Aber ich muss es versuchen.«
»Die Bürokratie wird dich zermürben, und dann schicken sie sie trotzdem nach Hause. Du wirst verletzt. Du nimmst Schaden. Und das ist das Letzte, was du im Augenblick gebrauchen kannst. Du brauchst positive Einflüsse in deinem Leben. Du hast einen Sohn, den du jetzt allein großziehen musst. Du brauchst Menschen, die dir Energie geben, statt sie dir zu nehmen.«
»Und das wärst du?«
Lawrence sah mich an und beugte sich vor. »Ich möchte wichtig für dich sein, Sarah. Das wollte ich von dem Augenblick an, in dem du mit deinem Notizblock, auf dem du kein einziges Wort notiert hast, und deinem Diktiergerät, das nicht mal eingeschaltet war, in mein Leben getreten bist. Und ich habe dich nicht im Stich gelassen, oder? Trotz allem. Trotz meiner Frau und trotz deines Ehemanns und trotz aller anderen. Wir haben Spaß zusammen, Sarah. Ist es nicht das, was du willst?«
Ich seufzte. »Ich glaube wirklich nicht, dass es noch um Spaß geht.«
»Und, laufe ich jetzt weg? Es geht darum, dass wir tun, was für dich am besten ist. Ich werde nicht verschwinden, nur weil es auf einmal ernst wird. Aber du musst dich entscheiden. Ich kann dir nicht helfen, wenn du dich nur noch auf dieses Mädchen konzentrierst.«
Ich spürte, wie ich blass wurde. Ich sprach so ruhig und gelassen wie möglich. »Verlange nicht, dass ich mich zwischen euch
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