Little Bee
und schüttelten den Kopf und lasen weiter Zeitung. Manchmal gaben sie mir danach die Zeitung. Ich las gern eure Zeitungen, weil es mir wichtig war, eure Sprache so zu lernen, wie ihr sie sprecht. Wenn eure Zeitungen von dem Land erzählen, aus dem ich komme, nennen sie es Entwicklungsland. Ihr sprecht von Entwicklung, weil ihr glaubt, dass ihr uns eine Zukunft gelassen habt, in der wir uns entwickeln können. Daher weiß ich, dass ihr keine schlechten Menschen seid.
In Wirklichkeit habt ihr uns eure alten Gegenstände zurückgelassen. Wenn ihr an meinen Kontinent denkt, denkt ihr vielleicht an das Leben in der Wildnis - an Löwen und Hyänen und Affen. Wenn ich daran denke, denke ich an all die kaputten Maschinen, an die verschlissenen, zerstörten, zerschmetterten und geborstenen Dinge. Ja, bei uns gibt es Löwen. Sie schlafen auf den Dächern rostiger Container. Es gibt auch Hyänen. Sie zerbrechen die Schädel von Männern, die zu langsam waren, um vor ihren eigenen Truppen davonzulaufen. Und die Affen? Die Affen spielen draußen am Rand des Dorfes auf einem Berg alter Computer, die ihr geschickt habt, um unsere Schule zu unterstützen - die Schule, die keine Elektrizität hat.
Aus meinem Land habt ihr die Zukunft mitgenommen, und in mein Land habt ihr Gegenstände aus eurer Vergangenheit geschickt. Wir haben nicht den Samen, nur die Kapsel. Wir haben nicht den Geist, nur den Schädel. Ja, den Schädel. Daran würde ich denken, wenn ich meiner Welt einen besseren Namen geben sollte. Wenn der Premierminister für den ruhigsten Teil des Spätnachmittags mich eines Tages anriefe und sagte: Little Bee, dir wird die große Ehre zuteil, unserem alten und geliebten Kontinent einen Namen zu geben, würde ich sagen: Sir, unsere Welt sollte Golgatha heißen, die Schädelstätte.
Das wäre ein guter Name für mein Dorf gewesen, auch schon bevor die Männer kamen, um unsere Hütten niederzubrennen und nach Öl zu bohren. Es wäre ein guter Name für die Lichtung um den Limba-Baum gewesen, wo wir Kinder auf dem alten Autoreifen schaukelten und auf den Sitzen des kaputten Peugeot und des kaputten Mercedes herumhüpften, die meinem Vater und meinem Onkel gehörten, den Sitzen, aus denen die Sprungfedern hervorschauten, und wo wir Kirchenlieder aus einem Gesangbuch mit fehlendem Einband sangen. Golgatha war die Stätte, an der ich aufwuchs, wo sogar die Missionare ihre Mission zugenagelt und uns mit den heiligen Büchern zurückgelassen hatten, die es nicht wert waren, mit zurück in euer Land genommen zu werden. In der einzigen Bibel unseres Dorfes fehlten alle Seiten nach dem 46. Vers des 7. Kapitels des Matthäus-Evangeliums, so dass die Religion für uns mit den Worten endete: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
So lebten wir, glücklich und ohne Hoffnung. Ich war damals noch sehr klein und vermisste die Zukunft nicht, weil ich nicht wusste, dass mir eine zustand. Den Rest der Welt kannten wir nur aus eurem uralten Film. Mit Männern, die es sehr eilig hatten, manchmal in Flugzeugen und manchmal auf Motorrädern und manchmal kopfüber.
Nachrichten bezogen wir nur vom Golgatha TV, dessen Programm man selbst mühsam zusammenstellen musste. Von unserem Fernseher gab es nur noch den Holzrahmen, in dem sich einmal der Bildschirm befunden hatte, und dieser Rahmen stand im roten Staub unter dem Limba-Baum, und meine Schwester Nkiruka steckte den Kopf in den Rahmen, um die Filme zu machen. Das ist ein guter Trick. Ich weiß jetzt, dass wir es Reality-TV hätten nennen sollen.
Meine Schwester rückte die Schleife an ihrem Kleid zurecht, steckte sich eine Blume ins Haar, lächelte durch den Bildschirm und sagte: Hallo, hier sind die Nachrichten der britischen BBC. Heute wird es Eiscreme vom Himmel regnen, und niemand muss zum Fluss gehen und Wasser holen, weil die Ingenieure aus der Stadt kommen und eine Leitung mitten durchs Dorf legen. Wir anderen Kinder saßen im Halbkreis um den Fernseher und schauten zu, wie Nkiruka die Nachrichten verkündete. Wir liebten diese leichtesten Bestandteile ihrer Träume. Im angenehmen Schatten des Nachmittags keuchten wir auf vor Entzücken und sagten Wahl. Ein Vorteil der verlassenen Welt ist, dass man dort mit dem Fernseher sprechen kann. Wir anderen Kinder riefen Nkiruka zu:
- Wann genau kommt der Eiscremeregen?
- Am frühen Abend natürlich, wenn es kühler ist.
- Woher wissen Sie das, Madam Fernsehansagerin?
- Weil es kühl genug sein muss, sonst würde die Eiscreme ja
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