Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
Vom Netzwerk:
ganz weg. Ich saß mit geschlossenen Augen am Tisch und spürte, wie meine Stirn juckte, wo sie auf seinem Arm gelegen hatte. In der Küche war es still, und ich wartete. Ich weiß nicht, wie lange. Ich wartete, bis meine Tränen getrocknet waren und das Entsetzen in mir verschwunden und nur noch ein stilles, dumpfes Elend übrig war, das meinen Kopf und meine Augäpfel schmerzen ließ. Ich hatte keinen Gedanken im Kopf. Ich wartete nur.
    Und dann spürte ich Lawrences Hände auf meinen Wangen. Er umfasste mein Gesicht mit den Händen. Ich wusste nicht, ob ich sie wegstoßen oder meine Hände auf seine legen sollte. So verharrten wir eine Weile, und seine Hände zitterten an meinen Wangen. Er drehte mein Gesicht nach oben zu sich, so dass ich ihm in die Augen sehen musste.
    »Ich wünschte, ich könnte dich einfach verschwinden lassen«, sagte er. »Aber ich bin niemand. Ich bin nur ein Beamter. Ich werde der Polizei nichts von dir erzählen. Nicht, wenn du den Mund hältst. Aber wenn du jemals irgendwem von mir und Sarah erzählst oder jemals irgendwem von Andrews Tod erzählst, dann landest du in einem Flugzeug nach Nigeria, das schwöre ich dir.«
    Ich holte tief Luft.
    »Danke«, flüsterte ich.
    Von oben erklang Sarahs Stimme. »Wer hat dir erlaubt fernzusehen, Batman?«
    Lawrence nahm die Hände von meinem Gesicht und machte neuen Tee. Sarah kam in die Küche, gähnte und kniff die Augen im Sonnenlicht zu. Sie hatte Charlie an der Hand.
    »Da ihr beide neu hier seid, erkläre ich euch am besten mal die Regeln«, sagte Sarah. »Superhelden, vor allem dunkle Ritter, dürfen vor dem Frühstück nicht fernsehen. Stimmt's, Batman?«
    Charlie grinste sie an und nickte.
    »Also dann. Bat-Flakes oder Bat-Toast?«
    »Bat-Toast«, sagte Charlie.
    Sarah steckte zwei Scheiben Brot in den Toaster. Lawrence und ich schauten nur zu. Sie drehte sich um.
    »Alles in Ordnung?« Sie schaute mich an. »Hast du geweint ?«

»Es ist nichts. Ich weine morgens immer.« Sarah sah Lawrence stirnrunzelnd an. »Ich hoffe, du hast dich um sie gekümmert.«
    -»Natürlich«, sagte er. »Little Bee und ich haben uns ein bisschen kennengelernt.«
    Sarah nickte. »Gut. Denn das hier muss wirklich funktionieren. Das wisst ihr doch, oder?«
    Sie sah uns an und gähnte wieder. Dann streckte sie die Arme über den Kopf. »Ein neuer Anfang«, sagte sie.
    Ich schaute Lawrence an und er mich.
    »So, ich werde jetzt Charlie in den Kindergarten bringen, und dann können wir uns auf die Suche nach Little Bees Papieren machen. Zuerst besorge ich dir aber einen Anwalt. Ich kenne einen guten Anwalt, der manchmal für Nixie arbeitet. «
    Sarah lächelte und ging zu Lawrence.
    »Was dich betrifft, werde ich mir ein bisschen Zeit nehmen, um dir zu danken, dass du die weite Reise nach Birmingham gemacht hast.«
    Sie hob ihre Hand an sein Gesicht, doch dann fiel ihr wohl ein, dass Charlie in der Küche war, und sie strich ihm nur über die Schulter. Ich ging nach nebenan, um mir die Nachrichten ohne Ton anzuschauen.
    Die Nachrichtensprecherin sah meiner Schwester sehr ähnlich. Mir floss das Herz über von all den Dingen, die ich ihr sagen wollte. Doch in eurem Land kann man nicht mit den Nachrichten reden.

    *

    Ich weiß noch genau, an welchem Tag England ich wurde, seine Umrisse sich an die Kurven meines eigenen Körpers schmiegten, seine Neigungen zu meinen wurden. Ich war ein Mädchen und radelte über die schmalen Straßen von Surrey, strampelte in meinem Baumwollkleid durch die heißen Felder, auf denen der Mohn errötete, ließ mich durch eine plötzliche Senke in ein kühles, bewaldetes Heiligtum rollen, durch das unter einer Brücke aus Kieseln und Backstein ein Bach floss. Die Bremsen quietschten von der Anstrengung, einen stillen Augenblick aus der Zeit herauszurupfen. Ich warf mein Fahrrad auf ein duftendes Kissen aus Wiesenkerbel und wilder Minze und rutschte die steile Uferböschung hinunter ins klare, kalte Wasser. Meine Sandalen wirbelten eine braune Schlammblume aus dem Bachbett auf, und die Elritzen schossen in den dunklen Schattenteich unter der Brücke davon. Ich drückte mein Gesicht ins Wasser, trank den kühlen Schock in mich hinein, und die Zeit blieb stehen. Dann blickte ich auf und entdeckte einen Fuchs. Er sonnte sich am anderen Ufer und betrachtete mich durch einen fedrigen Schirm aus Gerste. Ich erwiderte seinen Blick, und seine bernsteinfarbenen Augen hielten meine gefangen. Der Moment, das Land: Ich begriff, dass es zu mir

Weitere Kostenlose Bücher