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Little Bee

Little Bee

Titel: Little Bee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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geworden war. Ich suchte mir ein weiches Fleckchen neben dem Gerstenfeld, wo wildes Gras und Kornblumen wuchsen, legte mich mit dem Gesicht nach unten in den feuchten, erdigen Geruch der Graswurzeln und lauschte dem Summen der Sommerfliegen. Ich weinte und wusste nicht, warum.
    An dem Morgen, nachdem Lawrence bei mir übernachtet hatte, brachte ich Charlie zum Kindergarten und fuhr dann wieder nach Hause, um zu überlegen, wie ich Little Bee helfen konnte. Ich fand sie oben vor dem Fernseher, der Ton war abgestellt. Sie sah traurig aus.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Alles in Ordnung mit Lawrence?«
    Sie wandte sich ab.
    »Was ist denn?«
    Nichts.
    »Vielleicht hast du Heimweh. Ich an deiner Stelle hätte welches. Vermisst du deine Heimat?«
    Sie drehte sich zu mir und sah mich ganz feierlich an.
    »Sarah«, sagte sie, »ich glaube, ich habe mein Land gar nicht verlassen. Ich glaube, es ist mit mir gereist.«
    Sie drehte sich wieder zum Fernseher. Schon gut, dachte ich. Ich habe noch viel Zeit, um zu ihr durchzudringen.
    Ich räumte die Küche auf, während Lawrence unter der Dusche war. Ich machte mir Kaffee und bemerkte, dass ich zum ersten Mal seit Andrews Tod nur eine Tasse aus dem Schrank genommen hatte, nicht automatisch zwei. Ich rührte die Milch hinein, der Löffel klirrte gegen das Porzellan, und ich spürte, dass mir allmählich die Gewohnheit abhanden kam, Andrews Frau zu sein. Wie sonderbar, dachte ich. Ich lächelte und erkannte, dass ich mich stark genug fühlte, um im Büro vorbeizuschauen.
    Im Pendlerzug drängten sich gewöhnlich Nadelstreifen und Laptoptaschen, doch jetzt war es halb elf und der Zug beinahe leer. Der Junge mir gegenüber starrte an die Decke. Er trug ein England-T-Shirt und Jeans, die weiß von Gipsstaub waren. Auf der Innenseite seines Unterarms stand in Schnörkelschrift zu lesen: Zeit für Heldentuhm. Ich starrte auf die Tätowierung - ihren unverrückbaren Stolz und ihre falsche Orthographie. Als ich aufsah, begegnete ich dem Blick des Jungen. Seine bernsteinfarbenen Augen waren ruhig, er blinzelte nicht. Ich wurde rot und schaute hinaus auf die vorbeihuschenden Gärten der Doppelhaushälften.
    Der Zug bremste, als wir uns Waterloo näherten. Es war, als steckte man zwischen zwei Welten. Die Bremsbacken quietschten an den metallenen Rädern, und ich war auf einmal wieder acht Jahre alt. Ich näherte mich meinem Magazin auf unnachgiebigen Schienen. Bald würde ich die Endstation erreichen und beweisen müssen, dass ich aussteigen und in meinen Erwachsenenjob zurückkehren konnte. Als der Zug anhielt, drehte ich mich um und wollte etwas zu dem Jungen mit den Bernsteinaugen sagen, doch er war schon aufgestanden und durch das Gerstenfeld im Schatten der schützenden Wälder verschwunden.
    Um halb zwölf kam ich in die Redaktion. Alle verstummten. Die Mädchen starrten mich an. Ich lächelte und klatschte in die Hände.
    »Na los, an die Arbeit!«, sagte ich. »Wenn hunderttausend berufstätige Großstadtfrauen zwischen 8 und 35 keine Ziele mehr haben, geben wir's auch auf, vorher nicht.«
    Am Ende des Großraumbüros saß Clarissa an meinem Schreibtisch. Sie stand auf, als ich zu ihr ging, und trat vor den Tisch. Ihr Lipgloss schimmerte in einem Pflaumenton. Sie ergriff meine Hände.
    »Oh, Sarah«, sagte sie. »Du Arme. Wie kommst du klar?«
    Sie trug ein auberginefarbenes Shirtkleid mit einem glatten schwarzen Fischledergürtel und glänzenden, kniehohen schwarzen Stiefeln. Mir wurde klar, dass ich noch die Jeans anhatte, in der ich Batman zum Kindergarten gebracht hatte.
    »Mir geht's gut.«
    Clarissa musterte mich von oben bis unten und runzelte die Stirn. »Wirklich?«
    »Wirklich.«
    »Oh. Gut.«
    Ich warf einen Blick auf meinen Schreibtisch. In der Mitte stand Clarissas Laptop, daneben lag ihre Kelly-Bag. Meine Papiere waren ans äußerste Ende geschoben.
    »Wir dachten, du kommst heute nicht. Du hast doch nichts dagegen, dass ich deinen Thron bestiegen habe, oder, Darling?«
    Ich stellte fest, dass sie ihren Blackberry an mein Ladegerät angeschlossen hatte. »Nein, natürlich nicht.«
    »Wir dachten, es wäre dir lieb, wenn wir schon mit der Juli-Ausgabe beginnen.«
    Alle Augen waren auf uns gerichtet. Ich lächelte.
    »Klar, das ist toll. Ehrlich. Wie weit sind wir?«
    »Mit dieser Ausgabe? Möchtest du dich nicht setzen? Ich hole dir einen Kaffee, du musst dich schrecklich fühlen.«
    »Mein Mann ist gestorben, Clarissa. Ich selbst lebe

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