Little Brother
jeder von den fünf, sechs hingesackten Leuten sein können. Oder keiner.
"Rein da", sagte der Typ.
Ich zog an meinen Handgelenken. "Könnten Sie die abnehmen, bitte?" Meine Finger fühlten sich nach Stunden der Fesselung an wie lila Würste.
Der Typ rührte sich nicht.
"Schaun Sie mal", sagte ich und bemühte mich, weder sarkastisch noch wütend zu klingen (was nicht leicht war). "Schaun Sie, Sie müssen entweder meine Hände losschneiden, oder Sie zielen für mich. Ein Toilettenbesuch ist nichts, was sich freihändig bewältigen ließe." Irgendjemand im Truck kicherte. Der Typ mochte mich nicht, das konnte ich daran sehen, wie seine Kiefermuskeln arbeiteten. Mann, diese Leute waren verdammt hart.
Er griff zum Gürtel und brachte ein sehr cooles Multiwerkzeug zum Vorschein. Dann klappte er ein fies aussehendes Messer aus, schnitt die Plastik-Handschellen durch, und meine Hände gehörten wieder mir.
"Danke", sagte ich.
Er schubste mich in die Kabine. Meine Hände konnte ich nicht gebrauchen, die fühlten sich an wie Lehmklumpen an den Handgelenken. Als ich die schlaffen Finger ein bisschen bewegte, kribbelten sie; dann wurde das Kribbeln zu einem Brennen, dass ich fast anfing zu weinen. Ich klappte den Sitz runter, zog die Hose runter und setzte mich hin. Ich hätte nicht drauf gewettet, stehen bleiben zu können.
Als sich meine Blase erleichterte, tatens meine Augen ihr gleich. Ich weinte. Still heulte ich vor mich hin und kippelte auf dem Klositz, während mir Tränen und Rotz die Wangen runterliefen. Das einzige, was mir blieb, war, lautes Schluchzen zu unterdrücken - ich hielt mir die Hand vor den Mund und ließ keinen Ton raus. Diese Genugtuung wollte ich ihnen nicht gönnen.
Irgendwann war ich mit Pinkeln und Heulen fertig, und der Typ hämmerte gegen die Tür. Mit Bündeln von Klopapier säuberte ich mein Gesicht, so gut es eben ging, stopfte alles ins Klo und spülte; dann suchte ich ein Waschbecken, fand aber bloß eine Pumpflasche mit starker Desinfektionslösung, auf der in kleiner Schrift eine Liste biologischer Wirkstoffe zu lesen war. Ich rieb ein bisschen was in die Hände ein und verließ die Klokabine.
"Was hast du da drin gemacht?", wollte der Typ wissen.
"Die sanitären Anlagen benutzt", entgegnete ich. Er drehte mich um, griff meine Hände, und ich fühlte, wie ein neues Paar Plastikschellen sich darum schlossen. Seit er die anderen abgeschnitten hatte, waren meine Handgelenke angeschwollen, und die neuen schnitten brutal in die empfindliche Haut; aber ich weigerte mich, ihnen die Befriedigung zu verschaffen, mich schreien zu hören.
Er fesselte mich wieder an meinen Platz und schnappte sich meinen Nebenmann - Jolu, wie ich jetzt erst sah, das Gesicht verschwollen und eine hässliche Schramme auf der Wange.
"Bist du okay?", fragte ich ihn, woraufhin mein Freund mit dem Gimmickgürtel mir die Hand auf die Stirn legte und einmal kurz, aber heftig drückte. Mein Hinterkopf donnerte gegen die Metallwand des Trucks, als ob die Uhr eins schlug. "Reden verboten", sagte er, während ich mühsam meinen verschwommenen Blick wieder fokussierte.
Ich mochte diese Leute nicht. Genau in diesem Moment wusste ich, dass sie all das würden bezahlen müssen.
Einer nach dem anderen durften die Gefangenen aufs Klo, kamen zurück, und als alle fertig waren, ging mein Bewacher zu seinen Freunden zurück, trank noch einen Kaffee - ich konnte sehen, dass sie aus einer großen Papp-Kanne von Starbucks tranken -, und sie unterhielten sich undeutlich, aber mit viel Gelächter.
Dann öffnete sich die Tür hinten im Truck, und frische Luft strömte herein, nicht rauchverhangen wie zuvor, sondern von Ozon durchzogen. Wie ich durch den Türspalt erkennen konnte, bevor die Tür sich wieder schloss, war es dunkel und regnerisch draußen, die San-Francisco-Sorte Regen, die zugleich Nebel ist.
Der Mann, der hereinkam, trug eine Militäruniform. Eine US-Militäruniform. Er grüßte die Leute im Truck, und sie grüßten zurück; und da wusste ich: Ich war kein Gefangener irgendwelcher Terroristen - ich war ein Gefangener der Vereinigten Staaten von Amerika.
Sie stellten eine kleine Sichtblende hinten im Truck auf und machten uns dann einzeln los und führten uns dorthin. Nach meinen Schätzungen - im Kopf Sekunden zählen, einundzwanzig, zweiundzwanzig - dauerte jede Befragung rund sieben Minuten. Mein Schädel brummte vor Flüssigkeitsmangel und Koffeinentzug.
Ich kam als Dritter dran, die Frau mit dem strengen
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