Little Brother
Haarschnitt brachte mich hin. Aus der Nähe sah sie müde aus, mit Ringen unter den Augen und tiefen Linien um die Mundwinkel.
"Danke", sagte ich automatisch, als sie mich mit einer Fernbedienung losmachte und auf die Füße zog. Ich hasste mich selbst für die unwillkürliche Höflichkeit, aber so war ich nun mal gedrillt worden.
Sie verzog keine Miene. Ich ging vor ihr her zum anderen Ende des Trucks und hinter die Sichtblende. Ein einzelner Klappstuhl war für mich; zwei von ihnen, Frau Strenger Haarschnitt und Herr Gimmickgürtel, blickten mich von ihren ergonomischen Superstühlen herab an.
Zwischen ihnen stand ein Tischchen, auf dem sie den Inhalt meiner Brieftasche und meines Rucksacks ausgebreitet hatten.
"Hallo, Marcus", sagte Frau Strenger Haarschnitt. "Wir müssen dir einige Fragen stellen."
"Bin ich verhaftet?", wollte ich wissen. Das war keine sinnlose Frage. Wenn du nicht verhaftet bist, dann gibt es Beschränkungen, was die Bullen mit dir machen können und was nicht. Zunächst mal können sie dich nicht unendlich lange festhalten, ohne dich festzunehmen, dir ein Telefonat zu erlauben oder dich mit nem Anwalt sprechen zu lassen. Und ein Anwalt, Mann, mit dem würde ich als allererstes sprechen.
"Was soll das hier?", fragte sie und hielt mein Handy hoch. Auf dem Monitor war die Fehlermeldung zu sehen, die erschien, wenn man versuchte, an die Daten zu kommen, ohne das richtige Passwort einzugeben. Es war eine etwas derbe Botschaft - eine animierte Hand, die eine allgemein bekannte Geste formte -, denn ich liebte es, meine Geräte zu individualisieren.
"Bin ich verhaftet?", wiederholte ich. Wenn du nicht verhaftet bist, können sie dich auch nicht dazu zwingen, Fragen zu beantworten, und wenn du fragst, ob du verhaftet bist, müssen sie dir antworten. So ist die Regel.
"Du bist im Gewahrsam des Ministeriums für Heimatschutz", blaffte die Frau.
"Bin ich verhaftet?"
"Vor allem bist du kooperativer als bisher, Marcus, und zwar ab sofort." Sie sagte nicht "sonst", aber das klang mit.
"Ich möchte einen Anwalt sprechen", sagte ich. "Ich möchte wissen, was man mir vorwirft. Und ich möchte, dass Sie beide sich irgendwie ausweisen."
Die beiden Agenten wechselten Blicke.
"Ich glaube, du solltest deine Haltung in dieser Lage noch mal überdenken", sagte Frau Strenger Haarschnitt. "Und ich glaube, das solltest du auf der Stelle tun. Wir haben eine Reihe verdächtiger Gegenstände bei dir gefunden. Wir haben dich und deine Komplizen in der Nähe des Tatorts des schwersten Terroranschlags vorgefunden, den dieses Land jemals erlebt hat. Bring die beiden Fakten in Verbindung, und für dich siehts nicht gut aus, Marcus. Du kannst kooperieren, oder es wird dir sehr, sehr Leid tun. Und jetzt?"
"Sie denken, ich bin ein Terrorist? Ich bin siebzehn!"
"Genau das richtige Alter - Al Kaida rekrutiert am liebsten idealistische Kids, die sich noch beeindrucken lassen. Wir haben dich mal gegoogelt, weißt du? Du hast eine Menge hässliches Zeug im öffentlichen Internet gepostet."
"Ich möchte einen Anwalt sprechen", sagte ich.
Frau Strenger Haarschnitt sah mich an, als sei ich ein Käfer. "Du liegst völlig falsch mit der Annahme, dass die Polizei dich wegen eines Verbrechens geschnappt hat. Schlag dir das aus dem Kopf. Du befindest dich als möglicher feindlicher Kämpfer im Gewahrsam der Regierung der Vereinigten Staaten. An deiner Stelle würde ich sehr genau drüber nachdenken, wie du uns davon überzeugen kannst, kein feindlicher Kämpfer zu sein. Sehr genau. Denn weißt du, es gibt da dunkle Löcher, in denen feindliche Kämpfer verschwinden können, sehr tiefe dunkle Löcher, in denen man einfach verschwinden kann. Für immer. Hörst du mir gut zu, junger Mann? Ich möchte, dass du dein Telefon entsperrst und die Daten im Speicher dechiffrierst. Ich möchte, dass du Rechenschaft darüber ablegst, warum du auf der Straße warst. Was weißt du über den Anschlag auf diese Stadt?"
"Ich werde mein Telefon nicht für Sie entsperren", sagte ich zornig. Im Speicher meines Handys hatte ich alles Mögliche an privatem Krams: Fotos, Mails, kleine Hacks und Cracks, die ich installiert hatte. "Das sind meine Privatsachen."
"Was hast du zu verbergen?"
"Ich habe ein Recht auf Privatsphäre", sagte ich. "Und ich möchte einen Anwalt sprechen."
"Das ist deine letzte Chance, Kleiner. Ehrliche Leute haben nichts zu verbergen."
"Ich möchte einen Anwalt sprechen." Meine Eltern würden dafür aufkommen. Sämtliche FAQs
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