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Little Brother

Little Brother

Titel: Little Brother Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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diente: Hierher kam man, um zu sehen, wo Al Capone und seine Gangster-Zeitgenossen ihre Zeit abgesessen hatten. Aber nach Alcatraz war ich mal auf einem Schulausflug gekommen. Das war alt und rostig, irgendwie mittelalterlich. Dies hier fühlte sich mehr nach Zweitem Weltkrieg an, nicht nach der Kolonialzeit.
    An den Zellentüren gabs Aufkleber mit aufgedruckten Barcodes, auch Nummern, aber sonst keinen Hinweis darauf, wer oder was sich jeweils hinter der Tür befinden mochte.
    Der Befragungsraum war modern, mit Neonröhren, ergonomischen Stühlen (aber nicht für mich, ich kriegte einen Garten-Faltstuhl aus Plastik) und einem großen Konferenztisch aus Holz. Ein Spiegel bedeckte eine Wand, wie in den Polizei-Sendungen, und ich schätzte, der eine oder andere würde wohl von der anderen Seite zuschauen. Frau Strenger Haarschnitt und ihre Freunde versorgten sich mit Kaffee aus einer Kanne auf nem Beistelltisch (in dem Moment hätte ich ihr die Kehle mit den Zähnen aufschlitzen können, nur um an ihren Kaffee zu kommen), und dann stellte sie eine Plastiktasse mit Wasser vor mich - ohne meine Hände hinterm Rücken loszubinden, so dass ich nicht drankam. Sehr komisch.
    "Hallo, Marcus", sagte Frau Strenger Haarschnitt. "Wie stehts heute um deine Einstellung?" Ich sagte kein Wort.
    "Weißt du, das hier ist nicht das Schlimmste", fuhr sie fort. "Besser wirds ab jetzt nie mehr für dich. Selbst wenn du uns jetzt noch sagen solltest, was wir wissen wollen, und selbst wenn uns das davon überzeugt, dass du bloß zur falschen Zeit am falschen Ort warst - jetzt haben wir dich auf dem Radar. Wohin du auch gehst, was immer du tust, wir werden dir dabei zuschauen. Du hast dich benommen, als habest du was zu verbergen. Und so was mögen wir gar nicht."
    So kitschig es klingt: Alles, woran mein Gehirn denken konnte, war dieser Satz "wenn uns das überzeugt, dass du bloß zur falschen Zeit am falschen Ort warst". Das war das Schlimmste, was mir jemals passiert war. Niemals zuvor hatte ich mich so erbärmlich und ängstlich gefühlt. Diese Wörter, "zur falschen Zeit am falschen Ort", diese sechs Wörter, sie waren wie ein Rettungsring vor mir, während ich strampelte, um den Kopf über Wasser zu halten.
    "Hallo, Marcus?" Sie schnipste mit den Fingern vor meiner Nase. "Hierher, Marcus." Ein kleines Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht, und ich hasste mich dafür, ihr meine Angst gezeigt zu haben. "Marcus, es kann noch viel schlimmer werden als jetzt. Dies ist längst nicht der übelste Ort, an den wir dich bringen können, ganz gewiss nicht." Sie griff unter den Tisch und holte eine Aktentasche hervor, die sie aufklappte. Heraus zog sie mein Handy, den RFID-Killer/Kloner, meinen WLAN-Finder und meine Speichersticks. Eins nach dem anderen legte sie auf den Tisch.
    "Hör zu, was wir von dir erwarten. Heute entsperrst du dein Telefon für uns. Damit verdienst du dir Frischluft- und Badeprivilegien. Du wirst duschen dürfen und im Innenhof ein paar Schritte gehen. Morgen bringen wir dich wieder her, und dann werden wir dich bitten, die Daten auf diesen Speichersticks zu dechiffrieren. Wenn du das machst, verdienst du dir ein Essen in der Messe. Noch einen Tag später werden wir dich nach deinen E-Mail-Passworten fragen, und das wird dir Bibliotheksprivilegien einbringen."
    Mir lag das Wort Nein auf der Zunge wie ein Rülpser im Entstehen, aber es kam nicht. Stattdessen kam ein
    "Warum?"
    "Wir müssen sicherstellen, dass du der bist, der du zu sein scheinst. Hier geht es um deine Sicherheit, Marcus. Mag sein, du bist unschuldig. Vielleicht bist du wirklich unschuldig, obwohl mir nicht klar ist, welcher unschuldige Mensch so tut, als ob er so viel zu verbergen hätte. Aber mal angenommen, du bist unschuldig: Du hättest auf dieser Brücke sein können, als sie in die Luft flog. Deine Eltern hätten dort sein können. Deine Freunde. Willst du nicht auch, dass wir die Leute fangen, die deine Heimat angegriffen haben?"
    Merkwürdig: Als sie über die "Privilegien" sprach, die ich mir verdienen könnte, machte mich das so ängstlich, dass ich hätte nachgeben mögen. Ich fühlte mich grade so, als ob ich irgendwas dazu beigetragen hätte, hier zu landen, als ob ich teilweise selbst dran schuld wäre, als ob ich irgendetwas daran ändern könnte.
    Aber als sie mit diesem "Sicherheits"-Scheiß anfing, da kam mein Rückgrat zurück. "Hören Sie", sagte ich, "Sie sprechen darüber, wie meine Heimat angegriffen wird, aber wie ich es sehe, sind

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