Little Brother
in der East Bay, wo ich seit den Bombenanschlägen nicht mehr gewesen war.
Der Gedanke, sie wiederzusehen, machte mich ziemlich hibbelig. Seit der Party hatte ich jede Nacht beim Einschlafen an zweierlei gedacht: an den Anblick der Masse, wie sie auf die Polizei zustürmte, und an das Gefühl, dort an dem Pfeiler ihre Brüste unter dem T-Shirt zu spüren. Sie war einfach umwerfend. Ich war noch nie mit einem so... aggressiven Mädchen zusammengewesen. Bisher war immer ich es gewesen, der die Initiative ergriff, um dann zurückgewiesen zu werden. Ich hatte das Gefühl, dass Ange genauso scharf drauf war wie ich, und das war ein quälender Gedanke.
In dieser Nacht schlief ich tief und fest und träumte wildes Zeug von Ange und mir und was wir wohl anstellen würden, wenn wir uns nur an einem abgeschiedenen Fleck fänden.
Am nächsten Tag fing ich mit meinen Aufsätzen an. Über San Francisco kann man phantastisch schreiben. Geschichte? Jede Menge, vom Goldrausch zu den Schiffsdocks im Zweiten Weltkrieg, den Internierungslagern für die japanischstämmige Bevölkerung und der Erfindung des PCs. Physik? Das Exploratorium hat die coolste Austellung von allen Museen, in denen ich je war. Ich empfand eine perverse Befriedigung bei der Darstellung der Verflüssigung des Erdreichs während großer Beben. Englisch? Jack London, die Beat-Poeten, Science-Fiction-Autoren wie Pat Murphy und Rudy Rucker. Gesellschaftskunde? Die Bewegung für Meinungsfreiheit, Cesar Chavez, Schwulenrechte, Feminismus, die Antikriegsbewegung...
Ich fand es schon immer toll, Sachen einfach um ihrer selbst willen zu lernen, mehr zu wissen über die Welt um mich herum. Und dazu genügte es schon, einfach nur in der Stadt herumzulaufen. Ich entschied mich dafür, mit einem Englisch-Aufsatz über die Beatniks zu beginnen. City Lights Books hatte eine großartige Bibliothek in einem Zimmer im Obergeschoss, wo Allen Ginsberg und seine Kumpel ihre radikale Drogenpoesie verfasst hatten. Das eine Gedicht, das wir im Englisch-Kurs gelesen hatten, war Howl (Geheul); und seine ersten Zeilen würde ich niemals vergessen, solche Gänsehaut verursachten sie mir:
/ saw the best minds ofmy generation destroyed by madness, starving hysterical naked,
(Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, ausgezehrt hysterisch nackt,
dragging themselves through the negro streets at dawn lookingfor an angry fix,
wie sie sich durch die Negerstraßen schleppten bei Tagesanbruch auf der Suche nach einer zornigen Spritze,
angelheaded hipsters burningfor the ancient heavenly connection to the starry dynamo in the machinery of night...
engelsköpfige Hipster, sich verzehrend nach jener uralten himmlischen Verbindung zum Sternendynamo in der Maschinerie der Nacht...)
Ich liebte es, wie diese Wörter ineinanderflössen, "ausgezehrt hysterisch nackt". Ich kannte dieses Gefühl. Und "die besten Köpfe meiner Generation" gab mir auch schwer zu denken. Es erinnerte mich an den Park und an die Polizei und daran, wie das Gas fiel. Man klagte Ginsberg für Howl wegen Obszönität an - wegen einer Zeile über Homo-Sex, deretwegen heute niemand mehr mit der Wimper zucken würde. Irgendwie stimmte es mich fröhlich zu wissen, dass wir doch irgendwelche Fortschritte gemacht hatten, dass frühere Zeiten noch viel restriktiver gewesen waren als diese.
In der Bibliothek vergaß ich alles um mich herum, während ich die wunderschönen alten Ausgaben dieser Bücher las. Ich verlor mich in Jack Kerouacs "On the Road", einen Roman, den ich schon lange lesen wollte, und ein Angestellter, der nachschauen kam, was ich da trieb, nickte zustimmend und fand eine billige Ausgabe für mich, die er mir für sechs Dollar verkaufte.
Dann ging ich nach Chinatown weiter und aß Dim Sum Buns und Nudeln mit scharfer Sauce, die ich früher als ziemlich scharf bezeichnet hätte, die mir aber mit der Erfahrung eines Ange-Special mittlerweile eher mild vorkam.
Als es auf Nachmittag zuging, stieg ich in die BART und dann in einen Shuttlebus über San Mateo Bridge, der mich zur East Bay brachte. Ich las mein Exemplar von "On the Road" und genoß die vorbeiflitzende Landschaft. "On the Road" ist ein halb autobiografischer Roman über Jack Kerouac, einen drogen- und alkoholabhängigen Schriftsteller, der per Anhalter durch Amerika reist, Billigjobs annimmt, bei Nacht durch die Straßen geistert, Leuten begegnet und wieder seiner Wege zieht. Hipster, traurige Hobos, Betrüger, Straßenräuber,
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