Little Brother - Homeland: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
schuldete ihm viel. Nicht nur ich, wir alle.
»Lassen wir das«, sagte ich und versuchte, die ganzen dummen Gefühle zu unterdrücken und ein wenig von dem Zen und der Ruhe wiederzufinden, die ich im Tempel gespürt hatte. »Schon gut. Auch wenn’s nicht fair ist. Das Leben ist nun mal nicht fair. Jetzt hab ich also dieses Ding. Und was mach ich jetzt damit?«
»Pass gut darauf auf«, sagte Masha so leidenschaftslos wie zuvor. Sie hatte im Gegensatz zu mir offenbar keine Probleme damit, sich im Zaum zu halten, wenn es sein musste. »Wenn du je mitkriegst, dass es mich erwischt hat oder Zeb, dann geh damit an die Öffentlichkeit. Schrei es von allen Bergspitzen. Wenn ich dich je darum bitte, alles öffentlich zu machen, dann tu es. Und wenn du bis zum Freitag des nächsten Burning Man, also bis heute in einem Jahr, nichts von mir gehört hast, dann machst du auch alles öffentlich. Kriegst du das hin?«
»Müsste klappen.«
»Ich würde sagen, selbst du kannst das nicht vermasseln«, meinte sie, aber das war nur wieder ihre pseudo-coole Fassade, von daher nahm ich’s nicht persönlich. »Alles klar, dann bin ich jetzt weg – und lass mich nicht hängen, verstanden?«
Ich hörte, wie ihre Schritte sich entfernten.
»Bis nachher im Camp, Baby!«, rief Zeb ihr hinterher. Dann schaltete er wieder seine Stirnlampe an und blendete mich damit. Er nahm sich noch einen Keks aus dem Korb und kaute heftig darauf herum. »Ich liebe die Kleine, ganz ehrlich. Aber sie ist manchmal einfach so unentspannt !«
Das war so unbestreitbar wahr, dass uns nichts weiter blieb, als darüber zu lachen. Es stellte sich heraus, dass Zeb noch etwas Bier dabei hatte, und wie es Sitte war, gab er uns davon ab. Ich revanchierte mich mit etwas Kaffeekonzentrat aus meiner Flasche, um uns hinterher wieder munter zu machen. Danach mussten wir alle dringend Richtung Pinkelcamp, und so gingen wir zurück durch die Nacht, die Wüste und den Staub.
3
Den ganzen Tag schon hatten Leute erzählt, wir müssten mit einem Staubsturm rechnen. Ich war davon ausgegangen, dass »Staubsturm« nicht viel mehr hieß, als das Gesicht wie üblich mit Burnus und Brille zu schützen.
Doch der Sturm, der auf dem Rückweg zu unserem Dauerzirkus aufkam, war einfach verrückt. Die Nacht wurde richtig weiß vor Staub, und unsere Lampen warfen uns nur mattgraue Flächen vors Gesicht, die sich in alle Richtungen zu erstrecken schienen. Es erinnerte mich an wirklich dichten Nebel, wie er in San Francisco manchmal mitten im Sommer aufkommt, wenn sich die Touristen in ihren T-S hirts und Shorts ihre Unterkühlung abholen. Aber Nebel nahm einem nur die Sicht, und dieser Staubsturm machte es einem beinahe unmöglich zu atmen. Unsere Augen tränten, unsere Nasen liefen, unsere Münder waren vollkommen verklebt, jeder Atemzug löste einen Hustenanfall aus. Wir stolperten und packten uns fest bei den Händen, denn wenn wir uns losließen, würde der Sturm uns verschlingen.
Ange zog mein Ohr zu sich herab und rief: »Wir müssen irgendwo rein!«
»Ich weiß! Ich bin mir nur nicht sicher mit dem Weg – ich glaube, wir sind irgendwo bei Neun Uhr und B.« Die Ringstraßen, die die Mitte der Stadt konzentrisch umgaben, waren alphabetisch benannt. Unser Zelt lag in den Außenbereichen, 7:15 und L. Ohne den Staub wäre das ein Spaziergang von vielleicht fünfzehn Minuten gewesen, und ein sehr schöner. Mit dem Staub … konnte das ewig dauern.
»Egal«, sagte Ange. »Wir müssen jetzt irgendwo rein.« Sie zog mich weiter. Ich stolperte über eine kurze Stange mit einem Tennisball, die jemand als Hering in den Boden gehämmert hatte. Doch Anges eiserner Griff bewahrte mich vor einem Sturz.
Dann erreichten wir eine sechseckige Konstruktion, eine Art Jurte aus zusammengeklebten, spitzwinkligen Styroporplatten, isoliert mit silbern angesprühter Blisterfolie. Wir tasteten uns bis zur »Tür« (ein Styroporstück mit Scharnieren aus Industrieklebeband und einer Lasche dran). Ange wollte sie schon aufreißen, als ich sie zurückhielt und stattdessen anklopfte. Sturm oder nicht, es gehörte sich nicht, einfach so in eine fremde Wohnung zu platzen.
Wenn jemand auf mein Klopfen reagierte, konnte ich es über das schreckliche Heulen und Pfeifen des Windes hinweg aber nicht hören. Ich hob gerade meine Hand, um ein zweites Mal zu klopfen, als die Tür aufschwang, ein bärtiges Gesicht uns anschaute und rief: »Rein mit euch!«
Wir ließen uns nicht zweimal bitten und schlüpften durch
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