Little Miss Undercover - Ein Familienroman
der Schule mit dem Bus zur Bar, in der damals Rays erstes Pokerspiel stattgefunden hatte, und brachte nach etlichen Frage- und Budweiserrunden in Erfahrung, dass ihr Onkel sein nächstes illegalesPokerspiel für den kommenden Abend in einem Motel in der South Bay plante.
Dad ließ die polizeiübliche Frist von achtundvierzig Stunden verstreichen, bevor er seinem Bruder nachspürte. Rae hingegen weigerte sich, Onkel Rays unerwartete Sumpftouren so gelassen hinzunehmen wie der Rest der Familie. Sich mit ihr zu streiten, kostete so oder so mehr Energie, als es wert war. Und wenn es dabei auch noch um unseren Onkel ging, gab ich von vornherein klein bei.
Wir vereinbarten einen Waffenstillstand, solange ich bei der Suche half. Nachdem ich Rae von der Schule abgeholt hatte, suchten wir systematisch jedes miese Motel in einem Umkreis von achtzig Kilometern ab. Das an sich schon illegale Pokerspiel zog in der Regel weitere verbotene Dinge an, Drogen und Prostitution, das Ganze von toxischem Zigarrendunst umnebelt. Ray und seine Kumpels hatten allerdings festgestellt, dass man in den nicht in Ketten organisierten Motels am ehesten ein Auge zudrückte. Die Spieler legten zusammen, um zweihundert Dollar extra für »Reinigungskosten« zu berappen, und durften jederzeit wiederkommen, wann immer es ihnen beliebte.
Mein Beitrag zur Suchaktion bestand darin, Rae zu kutschieren. In der Schule nutzte sie die Zeit, die eigentlich zum Lernen vorgesehen war, um sämtliche Motels der Gegend über das Internet zu recherchieren und auf der Karte einzuzeichnen; danach legte sie eine dreistündige Tour fest, in deren Verlauf wir zwölf verschiedene Etablissements in der Bay Area abhakten. Onkel Rays Pokerbrüder bevorzugten Motels am Highway 1 oder 280, zwischen Marin County und San Mateo. Ich fuhr also auf den Parkplatz, Rae sprang aus dem Auto, hüpfte zum Empfang und zeigte dort ein Foto von Onkel Ray rum – darunter ließ sie einen Zwanzig-Dollar-Schein hervorblitzen –, mit der Frage, ob dieser Mann vor kurzem hier aufgetaucht sei.
Die ersten fünf Motels auf unserer Tour erwiesen sich als Fehlschläge, aber im sechsten hieß es, Ray habe gerade ausgecheckt.Und zwar in Begleitung einer Frau, allerdings konnte der Mann am Empfang weder die Frau beschreiben noch Angaben zum nächsten Reiseziel des Paares machen. Den Rest des Nachmittags suchten wir die verbliebenen sechs Motels auf, ergebnislos. Anstatt ihre Mathehausaufgaben zu machen, rief Rae am Abend noch einmal alle Kumpels von Ray an und fragte sie, ob beim letzten Pokerspiel auch Nutten zugegen waren. Natürlich konnte sie mit ihren vierzehn Lenzen die alten Herren nicht zu einer direkten Antwort bewegen.
»Mädel, dein Onkel ist erwachsen. Was er treibt und mit wem, geht mich doch nichts an«, war die Standardausflucht.
Nachdem ihre telefonische Umfrage nichts Neues ergeben hatte, heckte Rae für den nächsten Tag eine weitere Moteltour aus. Zum Glück gelang es ihr nicht, unseren Eltern die Erlaubnis zum Schuleschwänzen für die »Menschenjagd« abzuringen. Schließlich waren diesem Verlorenen Wochenende bereits vierundzwanzig andere vorausgegangen. Die Schockwirkung ließ allmählich nach.
Am dritten Nachmittag der Suche, als wir bereits achtzig Prozent der Motels angesteuert hatten, die sich innerhalb von Onkel Rays üblichem Wirkungskreis befanden, stöberten Rae und ich ihn endlich auf. Mit einer Rothaarigen namens Marla hielt er sich in Zimmer 3b des Days Inn im Süden von San Francisco auf. Er borgte sich die fünfzig Dollar, die ich noch bei mir hatte, gab das Geld seiner Gespielin und bestand darauf, dass wir Marla nach Hause brachten, ins fünfundzwanzig Kilometer entfernte Redwood City.
Ray geleitete Marla bis zu ihrer Haustür, dann nahmen die beiden Abschied. Auf der Rückfahrt fragte Rae ihren Onkel, ob er wenigstens Safer Sex praktiziert habe. Er forderte sie auf, sich um ihren eigenen Kram zu kümmern. Danach bot sie ihm eine Auswahl von Klinikbroschüren als »Reiselektüre« an. Rae sprach ihn nicht zum letzten Mal auf das Thema Entgiftung an.
Um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, können sich selbst Feinde verbünden, doch ist es einmal erreicht, zerfällt das Bündnis meist wieder. Die Familienstreitigkeiten, die für die Dauer der Suchaktion leise vor sich hin schwelten, flammten bei Rays Rückkehr prompt wieder auf.
Als Onkel Ray mir half, die letzten Kartons ins Auto zu laden, fragte er nach meiner zukünftigen Bleibe. Ich sagte ihm, ich wolle
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