Little Miss Undercover - Ein Familienroman
ich das Stück Kaugummi entdeckte, das mein Schlüsselloch verklebte. Während ich die eklige Masse aus dem Schloss und vom Schlüssel pulte, hatte Ray genug Zeit, zu seinem Auto zu gehen, die Tür aufzuschließen, den Motor zu starten und den gewünschten Radiosender einzustellen. Und ich war noch nicht einmal eingestiegen.
»Das ist einfach widerwärtig, Onkel Ray«, brüllte ich.
Er kurbelte das Fenster runter, machte eine entschuldigende Geste und sagte: »Du rennst zu schnell, Kind.«
D ER F ALL S NOW
K APITEL 7
Da ich weder einen Unfall riskieren noch Rays tollkühne Fahrkünste auf die Probe stellen wollte, wahrte ich auf der Fahrt zu Hank Farber die Grenzen des Erlaubten und verkniff mir jede kreative Auslegung von Verkehrsschildern. Nachdem ich das Auto vor Farbers Apartmenthaus geparkt hatte, wartete ich, bis Onkel Ray in die nächstgelegene Parklücke gestoßen war, und klopfte an seine Scheibe.
»Ich muss diesen Typen knacken. Falls er mich angelogen hat. Bist du dabei?«
»Aber gern«, sagte mein Onkel. Gemeinsam traten wir in die Eingangshalle des schäbigen Tenderloin-Gebäudes.
Den Abständen zwischen den Apartmenttüren nach zu schließen, bestand das ganze Gebilde aus gleich großen Wohnzellen. Der Flurteppich war mit Kaffeeflecken und Hautschuppen aus den letzten zwanzig Jahren gesättigt. Hoffentlich würde Hank zwischendurch mal ein Fenster öffnen, auch wenn er am liebsten in Zigarettendunst und seinem eigenen Saft zu schmoren schien.
Um drei Uhr nachmittags liefen wir bei Hank Farber auf. Anhand der leeren Dosen auf dem Küchentresen und Hanks leicht lallender Sprechweise errechnete Onkel Ray, dass der Hausherr bereits drei Biere gezischt haben musste. Als guter Gastgeber bot er uns Erfrischungen an, die Ray dankbar annahm. Die beiden tauschten sich kurz über das letzte Sonntagsspiel der 49er aus, um dann die Zukunft des Basketballs zu erörtern. Auf Rays Frage, ob es auch was zu knabbern gebe, riss Hank eine Tüte Chips auf und richtete einen Teller mit Doppelkeksen an.
Wieder fragte ich Hank nach dem Wochenende, an dem Andrew Snow verschwand. Er brauchte nicht mal eine Minute, um fast wortwörtlich das Gleiche zum Besten zu geben wie bei meinem letzten Besuch: Sein Neffe Greg war da gewesen;Greg war abends auf ein Konzert gegangen, eine dieser lauten Rockbands; gegen elf kam er zurück.
Nach Onkel Rays zweitem Bier zogen wir ab. Als wir im stickigen Lift nach unten fuhren, meinte Ray: »Der legt früh los.«
»Womit? Mit Saufen?«
»Ja. Ziemlich früh.« Das schien ihn zu beschäftigen.
»Woran denkst du?«, fragte ich.
»Ich denke, um elf war der längst eingepennt, wenn er auch nur annähernd so viel getrunken hat wie heute.«
»Das ist Jahre her, Onkel Ray. Vielleicht hat er damals keinen Tropfen angerührt.«
»Der hängt schon ein Weilchen länger an der Flasche.«
Das leuchtete mir ein. »Könnte er gebrieft worden sein?«
»Mit Sicherheit«, sagte Ray. »Dieses Wochenende hat er doch längst vergessen, nach zwölf Jahren. Und wann sein Neffe zurückgekommen ist, hat er erst recht vergessen.«
Mit meinem Onkel im Schlepptau fuhr ich in die Clay Street. Die leere Einfahrt zeigte an, dass meine Eltern nicht zu Hause waren. Als ich ins Büro ging, um ein paar Fakten zu recherchieren, war ich überrascht, dass Mom und Dad die Schlösser nicht ausgetauscht hatten. Onkel Ray folgte mir bis zum Schreibtisch und sah mir über die Schulter, während ich Hank Farbers Bonität sowie dessen Straf- und Zivilregister überprüfte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Onkel Ray einen Notizblock vollkritzelte.
»Was machst du?«
»Das muss noch in meinen Bericht rein.«
»Bericht?«
»Observationsbericht.«
»Über mich?«
»Ich werde erst bezahlt, wenn ich einen Bericht vorlege.«
Hätte ich noch eine Anstellung oder zumindest eine in Aussicht gehabt, hätte ich Onkel Ray das Gleiche geboten wie meine Eltern, um meinen Schatten abzuschütteln. Doch ohneGeld ging es nicht, denn darauf würde Ray genauso wenig verzichten können wie auf Bier.
Wie erwartet, war Hank Farber vorbestraft. Nicht aufgrund von Gewaltverbrechen, sondern wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und Trunkenheit am Steuer, die ersten Fälle lagen bereits fünfzehn Jahre zurück. Dazu passte natürlich auch der Führerscheinentzug, bemerkenswert fand ich aber, dass er zwei Monate vor Andrews Verschwinden einkassiert worden war.
Da Onkel Ray ihn früher oder später ohnehin lesen würde, zeigte ich ihm den
Weitere Kostenlose Bücher