Little Miss Undercover - Ein Familienroman
Ausdruck.
»Was schließt du daraus?«, fragte er.
»Wenn Hank das Fahrverbot eingehalten hat, konnte sich Greg das Auto jederzeit nehmen. Und das Geld hat er seinem Onkel eben ein paar Wochen später gegeben, dem ist sowieso nichts aufgefallen, wenn er die meiste Zeit besoffen war.«
»Er dosiert es nicht richtig. Deswegen ist er halb weggetreten«, erklärte Onkel Ray.
»Klar, liegt bestimmt nur an der Dosierung.«
Ich rief die Wache in Marin County an und hinterließ eine Nachricht für Sheriff Larson. Auch das notierte sich Onkel Ray. Danach stand ich auf. Er tat es mir nach.
»Lange halt ich das nicht mehr aus.«
»Ich tu nur meine Pflicht.«
»Weißt du überhaupt, wie das ist, auf Schritt und Tritt verfolgt zu werden?«
»Oh, das weiß ich nur zu gut. Ein paar Jahre vorm Krebs hat mich die Interne Ermittlungsstelle ins Visier genommen, weil ein Teil des beschlagnahmten Heroins fehlte. Selbst beim Beinchenheben hatte ich einen dieser Trenchcoattypen im Nacken. Das war vielleicht grausam.«
Und so standen wir uns gegenüber, Onkel Ray und ich, zwei Schmierenkomödianten beim Spiegelfechten, als meine Eltern das Büro betraten. Ray warf die Arme hoch und meinte:»Feierabend.« Schnurstracks eilte er in die Küche, um sich ein Pastrami-Sandwich zu machen.
Ich sah zu Mom und Dad und wollte es zunächst auf einen Versuch ankommen lassen, weil ich viel schneller laufen konnte als die beiden. Wenn sie sich allerdings solche Tricks einfallen ließen wie den von Onkel Ray mit dem Kaugummi, hätte ich ohnehin keine Chance. Beim Abwägen dieser Chancen hatte ich mich unauffällig in die Nähe des Ausgangs vorgearbeitet, um hoffentlich ebenso unauffällig den Raum verlassen zu können.
Meine Mutter schloss die Tür mit einem Fußtritt. »Wir haben einiges zu besprechen«, sagte sie in ihrem unerbittlichsten Ton.
Da fiel mir das offene Fenster auf. Das Büro ist im Erdgeschoss, das Fenster liegt knapp anderthalb Meter überm Boden. Außerdem führt von dieser Seite aus ein Weg direkt zur Einfahrt, wo mein Auto wartete – hoffentlich nicht zugeparkt. Ich musste nur das Fliegengitter aufstoßen und lossprinten. Meine Eltern waren viel zu erwachsen, um das Fenster zu benutzen. Und so müssten sie erst mal drei Türen passieren und ein paar Stufen überwinden, bevor sie mich vor dem Haus abfangen konnten. Meine Zuversicht wuchs. Ich konnte entkommen. Mich dem Gespräch entziehen. Einen Tag in Freiheit erleben.
»Was denn?«, fragte ich und schlurfte in Richtung Fenster.
»Wenn du den Job schon schmeißen willst, dann schmeiß ihn richtig«, sagte Mom.
»Was soll das heißen?«
»Gib den Fall Snow endlich auf.«
»Hast du unsere Abmachung vergessen? Ein letzter Auftrag!«
»Du bist gefeuert«, sagte Dad.
»Er will uns verklagen«, sagte Mom.
»Reiner Bluff. Wegen Martin Snow müsst ihr euch wirklich keine Sorgen machen.«
»Wir können es aber nicht riskieren, Isabel«, mahnte Mom. »Du musst aufhören. Im Ernst. Du musst. Und zwar sofort.«
Bei einem gewöhnlichen unlösbaren Fall hätte ich sicher Einsicht gezeigt. Doch es war kein gewöhnlicher Fall. Sobald man die Akte aufklappte, tauchten neue Fragen auf, neue Verdachtsmomente. Und keine einzige Antwort. Ich wurde von den drei wichtigsten Zeugen belogen, ein Auto hatte sich in Nichts aufgelöst, und der Verbleib einer Summe von hunderttausend Dollar war ungeklärt. Das kam fast einem echten Krimi gleich. Eine Seltenheit im Alltag einer Detektivin. Ich konnte nicht aufgeben. Es ging nicht mehr. Ich musste dieses Haus verlassen. Das war das Einzige, was ich mit Bestimmtheit wusste.
Ich drückte das Fenster noch etwas weiter auf, trat das Fliegengitter weg und sprang mit den Füßen zuerst auf den Kiesweg, der rund um das Haus führte. Dann raste ich zu meinem Auto. Zum Glück war das Schloss funktionstüchtig. Ich hörte noch meinen Vater mir hinterherrufen, aber was er sagte, konnte ich nicht verstehen. Als ich den Zündschlüssel drehte, passierte gar nichts.
Einen Moment saß ich nur kurzatmig da. Im Hauseingang stand meine Mutter und ließ mich nicht aus den Augen. Ein Blick unter die Motorhaube genügte: Zwei Drähte ragten nutzlos in die Luft, und dort, wo die Batterie hätte sein müssen, gähnte mir ein Loch entgegen.
»Wo ist die Batterie?«, fragte ich Mom.
Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, Schätzchen. Wo hast du sie das letzte Mal gesehen?« Mom ging ins Haus zurück.
Ich setzte mich wieder ins Auto und überlegte
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