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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Lutz
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Diagramm aller Konflikte, die zwischen den einzelnen Familienmitgliedern entbrannten, sähe die Seite bald aus wie ein Spinnennetz. Und es gab auch nicht den einen bestimmten Krieg, der zum jetzigen führte – dem Krieg, den wir nie vergessen sollten. Es ist wie bei einem Kartenhaus: Zieht man nur eine Karte heraus, bricht die ganze Struktur zusammen.

II
D IE S PELLMAN -K RIEGE
D ER Z UCKER -K RIEG
    Die Flut familiärer Konflikte, die Raes traumatischer Camp-Aufenthalt ausgelöst hatte, wich bald einer unheimlichen Ruhe. Noch Wochen später zeigte sie sich von ihrer besten Seite, so dankbar war Rae für ihre Rettung. Ihre fragwürdige Taktik hatte ich allerdings nicht ganz verwunden, und so sann ich ein bisschen auf Rache. Da Rae sich meist nichts zuschulden kommen lässt, stand mir dafür nur ein Mittel zur Verfügung. Ihr einziges Laster war und ist Junkfood – ich musste sie auf Entzug setzen. Mir war schon aufgefallen, dass die Pop Tarts vom frühen Morgen mittags nahtlos von Fritos und Twinkies abgelöst wurden. Beim Abendessen stocherte Rae im Hauptgericht herum, Gemüse aß sie nur unter Zwang, während sie sich wie ein Raubtier über den Nachtisch hermachte. Warum bemerkte das niemand? Die Schuld lag sicher bei mir. Meinetwegen waren die Standards für akzeptables Benehmen in diesem Haushalt so dramatisch gesunken, dass Rae geradezu mustergültig erscheinen musste.
    Ihr Essverhalten fiel unseren Eltern zwar nicht auf, aber es stand mir ja frei, sie darauf aufmerksam zu machen. Und so brachte ich Zeitungsartikel mit, die den Zusammenhang zwischen übermäßigem Zuckerkonsum in der Pubertät und schlechten Schulleistungen beleuchteten. Ich legte Statistiken vor, die zeigten, wie sich Altersdiabetes zum jugendlichen Zuckerverbrauch verhält. Ich regte an, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen. Meine Mutter willigte ein, wenn auch nicht ohne Argwohn: Süßigkeiten durfte Rae nur noch am Wochenende essen. Ausnahmslos.
    Als sie darüber in Kenntnis gesetzt wurde, rannte sie die Treppe rauf und hämmerte an meine Wohnungstür. »Wie konntest du mir das antun?«, fragte sie. Fast wären ihr die Tränen gekommen.
    »Ich möchte, dass du gesund bleibst.«
    »Ach ja?«
    »Wie wär’s mit einem Waffenstillstand?«
    »Okay.«
    Lustlos streckte Rae mir die Hand entgegen, um Frieden zu schließen. Doch welchen Nutzen brachte ein Friedensabkommen mit mir, wenn Rae bald eine Schlacht eröffnen sollte, die ich ihr niemals zugetraut hätte?
D IE R A(E/Y) -K RIEGE
    Ich schloss meine Wohnungstür ab und lief auf Zehenspitzen die Treppe hinunter, in der Hoffnung, keinem Familienmitglied zu begegnen. Insbesondere meiner Mutter nicht; wieder hatte sie einen Anwalt aufgetan, mit dem ich Kaffee trinken sollte. Obwohl ich ihr schon mehrfach erklärt hatte, dass ich meinen Kaffee auch ohne Rechtsbeistand zu mir nehmen konnte, wollte ihr das einfach nicht einleuchten.
    Anstatt Mom in die Arme zu laufen, traf ich im zweiten Stock auf Rae, die (mit Fernglas) aus dem Fenster sah. Ich warf nun selbst einen Blick nach draußen: Onkel Ray zog gerade bei uns ein. Allerdings war er nicht mit einem Umzugslaster gekommen, sondern per Taxi. Dieser Anblick brach mir fast das Herz. Ich drehte mich zu Rae. Ob es ihr genauso ging?
    »Was hast du vor?«, fragte ich.
    »Nichts«, zischte sie. Da wusste ich, dass sie in Ray keinen tragischen alten Mann erkannte, sondern ihren Erzfeind.
    »Willst du damit nicht endlich Schluss machen?«
    Raes Gesichtsausdruck war beredt genug. Sie wollte nicht.
    Dazu muss man wissen, dass meine Schwester und unser Onkel seit rund sechs Jahren im Clinch lagen. Es fing an, als die achtjährige Rae mitbekam, wie er sich heimlich von ihrer genauestens inventarisierten Halloween-Ausbeute bediente.Die Spannungen wuchsen anlässlich ihres zehnten Geburtstags, als Ray ihr ein rosarotes Kleid schenkte, anstelle der Walkie-Talkies, die Rae sich unmissverständlich gewünscht hatte. Und als Onkel Ray schließlich während einer Observation, die er mit ihr gemeinsam durchführte, einschlief, so fest, dass er selbst mit brutalsten Fußtritten nicht zu wecken war, kam es zum offenen Bruch. Von diesen krisenhaften Höhepunkten abgesehen, stritten sie sich unablässig um die Fernbedienung und mopsten sich gegenseitig die Lieblingsfrühstücksflocken; die scharfe Zunge meines nachtragenden Schwesterleins sorgte für zusätzliche Würze.
    Trotzdem wiederholte ich: »Willst du damit nicht endlich Schluss machen?«
    »Nein«, erwiderte Rae.

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