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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Lutz
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Dad.
    »Und? Schlägt sie an?«, fragte Mom.
    »Und wie.«
    »Hast du schon abgenommen?«
    »Ja, ich habe tatsächlich abgenommen.«
    »Wie viel?«
    »Ein Pfund«, sagte mein Vater voller Stolz.
    »Seit vier Wochen sollst du Diät halten – und hast bloß ein Pfund verloren?«, hakte Mom nach.
    »Alle Experten sind sich einig, dass man lieber langsam, aber stetig abnehmen sollte.«
    »Na prima. Dann hast du deine Traumfigur pünktlich zum Rentenalter erreicht«, stellte Mom mit zornigem Blick fest.
    »Du bist nicht mein Boss, Olivia.«
    »Das tut nichts zur Sache.«
    Da solche Gespräche bei fast allen Spellman-Mahlzeiten als Hauptgang gereicht wurden, fuhr der Rest der Tischgemeinschaftstillschweigend mit dem Essen fort. Bis Onkel Ray den verhängnisvollen Fehler beging, meine Schwester anzusprechen:
    »Rae-Rae, gibst du mir bitte die Kartoffeln?«
    Meine Schwester kaute konzentriert weiter, ohne der Bitte zu entsprechen. Mom ließ noch einen Moment verstreichen, hoffnungsvoll; wahrscheinlich sprach sie im Stillen ein Stoßgebet. Als ihre jüngste Tochter sich dann noch immer nicht rührte, schaltete sie sich ein.
    »Süße, Onkel Ray hat dich gebeten, ihm die Kartoffeln zu geben.«
    »Quatsch, er hat ›Rae-Rae‹ darum gebeten. Keine Ahnung, wer ›Rae-Rae‹ ist«, zischte meine Schwester.
    Ich langte über den Tisch, stieß ihr dabei meinen Ellenbogen in die Seite, nahm die Kartoffeln und reichte sie rüber.
    »Ich heiße Rae. Einfach Rae. Nicht doppelt. Einfach«, erklärte sie, so ungnädig wie das ungnädigste Mitglied eines Debattierclubs.
    »Wie lange wirst du mir das noch vorhalten?«, fragte Onkel Ray.
    »Wie lange wirst du dieses Hemd noch tragen?«
    »Lass das Hemd in Ruhe.«
    »Wieso? Hört es, was ich sage?«
    »Lass es einfach. Das gibt nur böses Blut.«
    Mein Bruder, der Anwalt, der Mann, der für riesige Unternehmen die besten Deals rausholt, der Mann, der pro Arbeitsstunde vierhundert Dollar berechnet, dieser Mann glaubt, dass er alles verhandeln kann. Er war naiv genug anzunehmen, beide Parteien durch einen simplen Interessenausgleich befrieden zu können. In solchen Momenten konnte ich keineswegs ausschließen, dass David damals auf der Säuglingsstation mit dem echten Spellman-Jungen vertauscht wurde.
    »Onkel Ray, erzähl ihr doch, was es mit dem Hemd auf sich hat. Vielleicht versteht sie’s dann«, regte er an.
    »Ausgeschlossen.«
    »Wenn du es ihr nicht erzählst, dann erzähle ich es«, sagte mein Bruder, wohl wissend, was er mit diesen Worten anrichtete.
    »Das kriegst du nicht richtig hin, David.«
    »Komm schon, erzähl mir vom Hemd«, sagte Rae und verschränkte die Arme.
    Onkel Ray sammelte sich, räusperte sich und begann mit einer dramatischen Pause: » – 22. Januar 1989: Super Bowl XXIII , die Bengals liegen mit 16:13 in Führung, Restspielzeit 3 Minuten, 20 Sekunden. Doch Joe Montana bringt die 49er mit fünf aufeinanderfolgenden Pässen zurück ins Spiel und den Ball an die 35-Yards-Line der Bengals. Dann eine Strafe wegen unerlaubten Haltens – 10 Yards zurück. Montana macht einen 27-Yards-Pass auf Rice. Time-out, und dann findet er Taylor in der Endzone. Ich trage das Hemd. 2. Juni 1991 in Oak Tree: Ich setze hundert auf Blue Lady. Warum nur? Ich hab einfach Lust auf einen Außenseiter. Blue Lady überrundet Silver Arrow auf den letzten Metern. Gewinn: 36 zu 1. Ich trage das Hemd. 3. September 1993: Ich gehe in Sals Deli & Liquor-Laden, um ein paar Lotterie-Scheine zu kaufen. Drinnen findet gerade ein Überfall statt, ich komme dem Täter in die Quere. Er feuert fünf Schüsse in meine Richtung ab, bevor ich meine eigene Waffe ziehen kann und ihn übern Haufen schieße. Ich habe nicht einen Kratzer abbekommen. Es gibt auch sonst keine Toten, der Täter kommt mit einer Fleischwunde davon. Ich trage das Hemd.«
    Nach einem weiteren Räuspern widmete sich Onkel Ray wieder seinen Kartoffeln.
    Rae hob ihren alten blauen Hightop-Sneaker auf den Tisch. Ich schob ihren Fuß weg, doch schon hatte sie ihn wieder oben.
    »Februar dieses Jahres«, sagte sie, »im Thetherball-Turnier der achten Klasse werde ich Dritte. Ich trage diese Schuhe. Juni, im selben Jahr: Beim Algebra-Abschlusstest erziele ich 83 von 100 Punkten, ohne einmal zu spicken. Ich trage diese Schuhe. Letzten Dienstag ramme ich mit meinem Fahrrad fasteinen Streifenwagen, aber eben nur fast. Ich trage die Schuhe. Und trotzdem trage ich hin und wieder auch was anderes!«
    »Nimm deine Füße vom Tisch«, bellte Mom.

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