Little Miss Undercover - Ein Familienroman
soll – es ist doch nur ein Haarschnitt, verdammt.«
»Wir sehen uns heute Abend, Isabel«, erwiderte David. Damit meinte er das Begrüßungsdinner für Onkel Ray.Ohne David hätte ich dieses Dinner völlig vergessen. Hätte ich es nicht vergessen, hätte ich versucht, mich davor zu drücken. Die Ra(e/y)-Kriege standen unmittelbar vor dem Ausbruch, und ich war fest entschlossen, nicht zwischen die Fronten zu geraten. Allerdings sollte sich herausstellen, dass nichts und niemand ihrer Wucht entgehen konnte, genau wie ich es vorausgeahnt hatte.
Als ich an diesem Abend ziemlich früh nach Hause kam, saß Rae auf dem Wohnzimmerboden und riss eine in Geschenkpapier gehüllte Schachtel auf, die aus dem nächstgelegenen Elektronik-Shop stammte. Es handelte sich um die neueste, teuerste digitale Videokamera, die auf dem Markt zu haben war. Dabei hatte Spellman Investigations seine eigene Ausrüstung noch längst nicht auf ein solches technisches Niveau gebracht. Und trotzdem schienen es meine Eltern irgendwie angebracht zu finden, ihre Teenagertochter mit diesem Hochkaräter zu verwöhnen, auch wenn kein Geburtstag und kein Weihnachten in Sicht waren.
Während Rae wie eine Insel in einem Meer aus Styropor, Plastikfolie und Pappe thronte, fixierte ich Mom und Dad mit dem skeptisch-erhabenen Blick eines Steuerprüfers und wartete geduldig ihre Reaktion ab. Wie so oft mieden sie jeden Blickkontakt, denn sie wussten nur zu gut, was ich dachte. Lässig schlenderte ich auf meinen Vater zu.
»Wehe, du verlierst darüber auch nur ein Wort, Isabel.«
»Und was ist dir mein Schweigen wert?«
Mein Vater fiel sichtlich in sich zusammen, als er sich die Unsummen von Bestechungs- und Schweigegeldern vorstellte, die er künftig würde zahlen müssen. Natürlich hatte ich es nur als Scherz gemeint, aber das musste ich ihm ja nicht gleich auf die Nase binden.
»Na, ich bin dir wohl was schuldig. Was willst du?«
»Komm schon, Dad, ich will dich nicht erpressen. Ich möchte bloß darauf hinweisen ...«
»Bitte, Isabel, kein Wort mehr.«
Die Klappe zu halten, fiel mir verflucht schwer. Ich schnappte mir ein Bier und ließ mich neben Onkel Ray auf die Couch plumpsen, der mir netterweise seinen Teller voller Kräcker und Käse anbot, während er durch die Kanäle zappte. Als er bei einer der ganz frühen Folgen von Mini-Max landete, sagte ich: »Stopp.«
Max 6 und Agent 99 strichen gerade, als Arzt und Krankenschwester verkleidet, durch die Flure von Harvey Satans Sanatorium 7 .
»Hilfst du mir auf die Sprünge?«, bat Onkel Ray, dem sich leider kein Katalog sämtlicher Folgen unauslöschlich eingeprägt hatte.
» KAOS 8 -Agenten haben den Chef entführt und wollen Lösegeld erpressen. Da kommt auch diese Szene vor, die du gerade verpasst hast, als Max sechs oder sieben verschiedene Telefone benutzt: ein Schuhtelefon, ein Geldbörsentelefon, Brillentelefon, Krawattentelefon, Taschentuchtelefon und ... das letzte 9 hab ich vergessen.«
»Was treibt der Chef im Schrank?«
»Das ist kein Schrank, sondern eine Tiefkühltruhe.«
»Wieso frieren die ihn ein?«
»Sie müssen seine Körpertemperatur senken, um eine Lobotomie vorzunehmen.«
»Klar.« Ray nahm mir den Kräcker-und-Käse-Teller wieder ab.
Während der Werbeunterbrechung täuschte mein Onkel Faszination für das neueste Mittel gegen Pickel vor.
»Meinst du, die Kleine wird sich mit der Zeit an mich gewöhnen?«
»Aber ja, Onkel Ray, sie wird schon einlenken. Irgendwann.«
»Na hoffentlich. Darum trage ich doch mein Glückshemd.«
»Ist mir nicht entgangen.«
Das Glückshemd: ein fadenscheiniges, kurzärmliges Etwas mit Hawaii-Muster, das seit bald zwanzig Jahren in Gebrauch war. Früher tauchte es nur zu besonderen Gelegenheiten auf – Super Bowl, sonstige Endspiele, Baseball-Meisterschaften. Später wurde es auch bei einer Reihe von Pokerpartien und informellen Hochzeiten gesichtet, doch in letzter Zeit trug Onkel Ray praktisch nichts anderes.
Beim Abendessen schockierten uns die bösen Blicke, die Rae quer über den Tisch abfeuerte. David und Dad tauschten öden Small Talk über Geschäftliches aus, während Mom die Spannung vorübergehend löste, durch einen schlichten Akt der Ablenkung.
»Du hast heute doch schon genug rotes Fleisch gehabt«, sagte sie, als Dad sich gerade eine zweite Portion Roastbeef auflegen wollte.
Er nahm sich zwei weitere Scheiben: »Jetzt vielleicht.«
»Hat dich Dr. Schneider etwa nicht auf Diät gesetzt?«
»Hat er«, erwiderte
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