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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Lutz
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entgegnete: »Bitte nicht ›hibbelig‹ sagen, das passt nicht zu dir«, hoppelte Rae die Stufen herunter, in weißen Shorts, einem rosa Izod-Shirt und bommelverzierten Socken; dazu trug sie einen Tennisschläger aus Aluminium der Marke Wilson.
    »Mom, wie sehe ich aus?«
    Unsere Mutter strahlte reinste Zustimmung aus. »Perfekt.«
    »Rae, dein T-Shirt ist rosa«, stellte ich fest und hoffte auf eine möglichst stichhaltige Erklärung.
    »Ich bin nicht blind.« Rae griff nach den Froot Loops. Ich wollte schon protestieren, doch es war ja Samstag. Als sie die Packung schüttelte, hörte man nur das spärliche Geräusch von Puderzucker. Sie kippte die Reste in eine Schale: Kein einziger Loop war übrig.
    »Dieses verfressene Schwein!«, brüllte Rae.
    »Rae, dein Onkel ist kein Tier«, mahnte Mom.
    »’tschuldigung«, sagte sie und verbesserte sich: »Dieses dicke fette Ekelpaket.«
    »Danke«, sagte Mom, als habe Rae ihre Lektion wirklich gelernt. »Schätzchen, sieh doch mal in der Speisekammer nach, unterstes Regal, hinter den Papierservietten.«
    Aus den niederen Regionen unseres Kämmerchens tauchte Rae mit je einer Packung Cap’n Crunch und Lucky Charms auf. Unsere Mutter, die sich stets für mögliche Konflikte wappnete, hatte einen Geheimvorrat angelegt. Manchmal verblüffte sie sogar mich.
    »Ich liebe dich«, sagte Rae, und das war aufrichtig gemeint.
    »Ich dachte, du wolltest Froot Loops«, sagte ich.
    »Da wusste ich ja nicht, was alles zur Auswahl steht«, erwiderte Rae und füllte gleich zwei Schalen mit Zuckerzeug.
    Noch während ich die Frage stellte, erriet ich die Antwort. »Was soll dieses Outfit, Rae?«
    Bevor sie sprach, suchte Rae Moms Blick. Unsere Mutter nickte ihr ermutigend zu.
    »Mom beruft sich auf Paragraph 5, Absatz d.«
    Gemeint war der Arbeitsvertrag von Spellman Investigations . Alle Angestellten (ob Vollzeit- oder Saisonalkräfte) müssen ihn unterschreiben. Genau wie meine Familie schwankt dieser Vertrag zwischen vernünftigen Forderungen und vollkommen irrationalen Sonderklauseln. Paragraph 5, Absatz d fällt unter Letzteres. Dort steht, dass Albert und Olivia Kleidervorschriften erlassen können, wenn ein Fall nach gewissen Tarnelementen verlangt. Ein Tennisclub fällt durchaus in diese Kategorie. Als ich volljährig wurde und diesen Vertrag unterschreiben musste, handelte ich aus, dass Paragraph 5, Absatz d binnen zwölf Monaten höchstens dreimal greifen durfte. Später handelten meine Eltern aus, dass ich bei Missachtung dieser Klausel fünfhundert Dollar Bußgeld zahlen muss (das taten sie, als sie merkten, dass es keinen Sinn hatte, mir mit fristloser Kündigung zu drohen). Dieser Vertrag wurde im Laufe der Zeit von meinem Bruder ausge- und immer wieder überarbeitet. Darum ist er auch rechtskräftig; meine Mutter beharrt darauf, dass sie die Bußgelder eintreiben wird, falls wir gegen die Vereinbarungen verstoßen.
    Trotzdem konnte ich nicht an mich halten: »Nein. Nein!« Ich knallte meinen Becher in die Spüle und rannte nach oben.
    »An deiner Stelle würde ich mir die Beine rasieren«, rief mir Mom hinterher. Ich spürte einen Kloß im Hals.
    Da hing auch schon der komplette Dress an meiner Wohnungstür. Blendend weiß und frisch gestärkt und entsetzlich kurz. Tennisklamotten hatte ich noch nie getragen – aus dem einfachen Grund, dass ich nie Tennis spielte. Doch selbst wenn ich Tennis spielte, würde ich so ein Kleidchen niemals freiwillig anziehen. Unter der Dusche rasierte ich mir die Beine (zum ersten Mal seit zwei Monaten). Danach starrte ich etwa zehn Minuten in den Spiegel, versuchte, den Rock irgendwie in die Länge zu ziehen und mich irgendwie kleiner zu machen, aber es half nichts. Ich holte ein riesiges graues Sweatshirt aus der Schublade und ging wieder nach unten.
    In der Eingangshalle traf ich David an. Zunächst gab er nur ein belustigtes Schnaufen von sich, doch als sich unser Vater zu ihm gesellte und vor Lachen schier platzte, war es auch um seine Selbstbeherrschung geschehen: Die beiden verfielen in solche Krämpfe, dass ich ernsthaft daran dachte, einen Krankenwagen zu rufen.
    Ich ging in die Küche, wo ich mir einen weiteren Kaffee einschenkte. Dad und David blieben in der Eingangshalle, offenbar wollten die hysterischen Anfälle nicht so schnell nachlassen. Als Onkel Ray in die Küche trat, sah er mich prüfend an, doch er enthielt sich freundlicherweise jeder Reaktion, abgesehen von der schlichten Frage: »Paragraph 5, Absatz d?«
    Ich nickte,

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