Little Miss Undercover - Ein Familienroman
nieder.
Daniel schlug auf. Der Adrette stürzte dem Ball entgegen, ohne ihn zu treffen: 15–0. Daniel schlug ein weiteres Mal auf. Diesmal spielte der Adrette den Ball zurück, worauf ein druckvoller Volley folgte; der Adrette parierte mit einem Schlag, der den Ball ins Aus beförderte: 30–0. Dieses Spiel unterschied sich in jeder Hinsicht vom vorausgegangenen. Ich war völlig gebannt. Es war so spannend, wie das frühere öde gewesen war. Während ich die Ballwechsel aufmerksam verfolgte, versuchte ich, eine logische Erklärung dafür zu finden, doch vergebens. Es handelte sich um einen Fall von Tennis-Schizophrenie.
Mein Handy vibrierte, und ich nahm das Gespräch an.
»Zielperson unterwegs«, sagte Rae.
Ich wusste, ich würde mich nicht loseisen können.
»Kommst du mit ihm allein klar?«, fragte ich, im Bewusstsein meiner totalen Verantwortungslosigkeit.
»Sicher«, sagte Rae, die bereits aus der Tür war. »Mom hat mir für alle Fälle Taxigeld zugesteckt.«
Nach kurzem Zögern sagte ich: »Lass dein Handy an, geh nur dorthin, wo auch andere Leute sind, und tu nichts, was ich nicht gutheißen würde. Okay, Rae?«
»Okay.«
Allmählich hatte ich das Gefühl aufzufallen, weil ich mich so lange im Bereich der Plätze aufhielt. Also stieg ich auf die Galerie und ging in die Bar. Von meinem Fensterplatz aus sah ich mir das Spiel bis zum Ende an. Zwar bekam ich den Punktestandnicht mehr zu hören, aber das Ergebnis stand ohnehin fest. Ich war verwirrter denn je.
Als ich wieder unten war – ich wollte Daniel abpassen, sobald er den Umkleideraum verließ –, rief ich Rae auf ihrem Handy an.
»Rae, wo bist du?«
»Ich bin im Tenderloin und stehe vor dem Mitchell Brothers O’Farrell Theatre. Die Zielperson hat dieses Etablissement vor ca. zehn Minuten betreten. Ich wollte auch rein, aber sie haben mir den Ausweis nicht abgenommen.«
»Klar, wenn du erst vierzehn bist.«
»Im Ausweis steht aber was von einundzwanzig.«
»Bleib, wo du bist, und lass dich von niemand anquatschen. Ich komme, so schnell ich kann.«
»Izzy, ich glaub, das ist ein Striplokal. Da ziehen sich Frauen aus.«
»Richtig«, sagte ich.
»Weißt du, was ich glaube?«, fragte Rae.
»Nein.«
»Ich glaube nicht, dass Mr. Peters schwul ist.«
»Geht mir genauso.«
Aus dem Umkleideraum tauchte ein frisch geduschter Daniel auf, in Jeans, einem alten T-Shirt und Flip-Flops. Er stieg nach oben. Anstatt meiner Schwester zu helfen, folgte ich ihm. Ich wollte eine Erklärung.
Daniel setzte sich an die Bar und bestellte ein Bier. Um keine Zeit zu verlieren, hockte ich mich gleich neben ihn. Er wandte den Kopf zur Seite und lächelte mir zu. Nicht wie der typische Aufreißer, sondern so freundlich und offen wie ein Mensch, der die Anwesenheit eines anderen zur Kenntnis nimmt. Aus der Nähe besehen, entpuppte sich die Farbe seiner Augen unter den schweren Lidern als ganz helles Braun. Das beinah schwarze Haar, noch feucht und nach irgendeinem fabelhaften Shampoo riechend, wölbte sich als formvollendete Tolleüber seine Stirn. Sein Gebiss war gleichmäßig und fleckenlos, doch ohne die gleißende Perfektion, die man von TV-Talkmastern kennt. Plötzlich wurde mir klar, dass ich ihn schon Ewigkeiten angestarrt haben musste.
Erst als der Barkeeper Daniels Bier servierte, erwachte ich aus meiner Trance und legte ein paar Scheine auf den Tresen.
»Meine Runde«, sagte ich.
Daniel drehte sich zu mir. »Kennen wir uns?«, fragte er ohne eine Spur von Argwohn.
»Ganz sicher nicht.«
»Trotzdem wollen Sie mir einen Drink ausgeben?«
»Nicht ohne Gegenleistung.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Als simplen Tauschhandel. Ich gebe Ihnen ein Bier aus, Sie beantworten mir eine Frage. Einverstanden?«
»Kommt auf die Frage an«, sagte er, ohne sein Bier anzurühren.
»Sie haben heute Morgen zwei Matches gespielt. Das erste gegen einen Mann Ende vierzig, dessen Form deutlich zu wünschen übrigließ. Da schienen Sie beide von Tennis keine Ahnung zu haben. Merkwürdig, denn in diesem exklusiven Club würde man erwarten, dass alle Spieler ein bestimmtes Niveau nicht unterschreiten. Hätte wenigstens einer von Ihnen ordentlich gespielt, wäre meine Neugier gar nicht erst geweckt worden.«
»Natürlich.«
»Sie verlieren also das Match gegen Ihren total unfähigen Gegner, um danach einen wirklich guten Spieler an die Wand zu schmettern.«
» An die Wand schmettern ... das klingt gut.«
»Ich verlange eine Erklärung.«
Daniel nippte an seinem
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