Little Miss Undercover - Ein Familienroman
Besuch beim Paartherapeuten an. Bis weit nach Mitternacht blieb ich im Büro, um ein paar Stapel abzuarbeiten.
Auch wenn ich mir fest vorgenommen hatte, es nicht zu tun, tat ich es doch. Daniel Castillo ist zwar ein recht verbreiteter Name, aber nicht unter Zahnärzten mit eigener Praxis. Um eins in der Früh hatte ich seine Sozialversicherungsnummer herausbekommen, sein Geburtsdatum und seinen Familienstand (ledig). Dazu seine Privatadresse und die Adresse seiner Praxis. Ich schwor mir, es nie wieder zu tun, das, wasich da gerade tat. So wie meine Mutter es mir eingeimpft hatte. Doch ich musste wissen, wer Daniel Castillo war. Es auf die übliche Weise in Erfahrung zu bringen, war so zeitraubend wie potentiell irreführend.
Als Petra mir wieder einmal ihre vierteljährliche Mit dir kann man sich ja sonst nirgendwo mehr blicken lassen -Haarschneidesession verabreichte, fragte ich, was ich sie schon seit einer Woche hatte fragen wollen:
»Wann warst du das letzte Mal beim Zahnarzt?«
»Keine Ahnung. Vor einem Jahr vielleicht.«
»Meinst du nicht, dass mal wieder eine Zahnreinigung fällig wäre?«
»Und wie sieht’s bei dir aus?«
»Gerade zu diesem Zahnarzt kann ich aber nicht gehen.«
»Sprich Klartext!«
»Ich habe einen Zahnarzt kennengelernt«, platzte ich heraus.
»Einen Zahnarzt? Bist du wahnsinnig?«
»Er gefällt mir. Ich muss bloß noch herausfinden, ob er was taugt.«
Getürkter Zahnarzttermin Nr. 1
Petra ließ sich für den folgenden Montag einen Termin geben, um 15.00 Uhr in der Praxis von Dr. Daniel Castillo. Wir hatten abgemacht, dass ich die Zahnreinigungskosten übernehme, und sie sollte unauffällig Fragen in die gepflegte Konversation schmuggeln, neun Fragen, die ich mir im Vorfeld überlegt hatte. Mit diesen Fragen sollte alles abgedeckt werden, was ich nicht durch Hintergrundrecherchen und kurzfristige Observationen hatte klären können. Als ich Petra das säuberlich getippte DIN-A4-Blatt überreichte, rechnete ich mit Protesten, aber nein: Kaum hatte sie die neun Fragen auswendig gelernt, stürmte meine Freundin los.
Zwei Stunden später trafen wir uns im Philosopher’s Club und bestellten Drinks. Ich hatte darauf bestanden, dass Petradas Gespräch im Behandlungszimmer auf Band aufnahm. So war ich nicht auf ihr notorisch schwaches Gedächtnis angewiesen und konnte das Ganze ungefiltert auf mich wirken lassen.
»Bist du bereit?«, fragte sie mit hochgezogener Augenbraue, von boshafter Vorfreude erfüllt. Dann spielte sie das Band ab.
P. Clark: Hier spricht Petra Clark. An einem neblig-trüben Montagnachmittag steuere ich die Praxisräume des Dentisten Dr. Daniel Castillo an, mit dem Ziel, ihn im Auftrag einer gewissen Isabel Spellman auszuspionieren.
[Der Recorder klickt]
Dr. Castillo: Guten Tag, Ms. Clark. Ich bin Dr. Castillo.
P. Clark: Sehr erfreut, Doktor.
Dr. Castillo: Wie ich sehe, sind Sie zum ersten Mal hier. Darf ich fragen, wie Sie auf meine Praxis gekommen sind?
P. Clark: Ach, wer merkt sich denn so was?
Dr. Castillo: Schon gut. Was wissen Sie noch von Ihrer letzten Zahnreinigung?
P. Clark: Da hab ich schon bessere erlebt.
Dr. Castillo: Ich wollte eigentlich nur wissen, wann Sie Ihre letzte Zahnreinigung haben vornehmen lassen.
P. Clark: Vor einem Jahr. Das weiß ich genau, weil es kurz nach meiner Scheidung war. Haben Sie sich mal scheiden lassen, Doktor? [Frage 3]
Dr. Castillo (räuspert sich): Nein, habe ich nicht. Wollen wir anfangen?
P. Clark: Sind Sie verheiratet? [Frage 2 – reine Fangfrage, da Familienstand bereits feststeht (ledig), es geht um die Reaktion.]
Dr. Castillo: Nein. Bitte machen Sie den Mund weit auf.
[Dr. Castillo streift sich ein Paar Latexhandschuhe über und untersucht die Mundhöhle seiner Patientin.]
P. Clark: [Unverständliches Grunzen]
Dr. Castillo: Wollten Sie etwas sagen?
P. Clark: Bevorzugen Sie örtliche Betäubung oder Vollnarkose?
[Frage 5]
Dr. Castillo: Ms. Clark –
P. Clark: – nennen Sie mich Petra. Bitte.
Dr. Castillo: In Ihrem Fall brauchen wir keine Betäubung, Petra.
P. Clark: Weiß ich doch. Ich meinte, was bevorzugen Sie mehr so im Allgemeinen?
Dr. Castillo: Kommt auf den Fall an. Wenn möglich, beschränke ich mich lieber auf örtliche Betäubung. Wie soll ich Ihre Zähne reinigen, wenn Sie den Mund nicht öffnen?
[Dreißig Sekunden Zahnreinigung]
Dr. Castillo: Bitte ausspülen.
[Spuckgeräusche]
P. Clark: Aber hat es nicht auch was für sich, wenn eine Patientin völlig weggetreten ist?
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