Little Miss Undercover - Ein Familienroman
Rae.«
»Warum nicht? Ich finde das absolut nachvollziehbar«, sagte sie mit einem Gleichmut, den ich kaum in Worte fassen kann.
»Lass die Finger von so was. Bitte.«
»Tu alles, was ich sage. Tu nichts, was ich tue«, spottete David.
Ich lehnte mich auf der Couch zurück. Das Gespräch hatte mich mitgenommen, ich war wie erschlagen von der Vorstellung, dass ich wieder einmal, wie immer, ein schlechtes Vorbild abgab.
»David, erklär du es ihr. Erklär ihr, wie’s eigentlich laufen sollte«, murmelte ich.
»Rae, wenn eine Frau – jede Frau außer deiner Schwester – sich von einem Angehörigen des anderen Geschlechts angezogen fühlt oder auch des eigenen, kommt ganz auf die Vorlieben an, dann findet sie auch einen Weg, diesen Menschen anzusprechen. Sie lächelt, sie winkt, sie überreicht ihm oder ihr eine Visitenkarte oder einen Zettel mit ihrer Telefonnummer, oder sie lässt sich eine Telefonnummer geben. Sie gibt sich zu erkennen, in der Hoffnung, dass der oder die andere ebenfalls Interesse bekundet. Sie führt keine wochenlangenBeschattungen durch, durchleuchtet nicht den Terminkalender dieses Menschen, versucht nicht, seinen Charakter einer eingehenden Analyse zu unterziehen, um sich gegen jede Überraschung zu wappnen, sollte sie doch mal mit ihm ausgehen. Eine Beziehung lebt auch von Geheimnissen. Du kannst dem nicht entgehen, und wenn du dich noch so sehr dagegen wehrst.«
Gelangweilt erwiderte Rae: »David, das hab ich alles schon von Mom gehört – dass ich mir ja kein Beispiel an Isabel nehmen soll. Du hast dich aufs Liebesleben bezogen, während es Mom vor allem um Dope ging, unterm Strich meint ihr aber dasselbe. Danke für die Kohle. Ich hab dich lieb.«
Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, da sie schon als Kind begriffen hatte, dass er der Mann mit den Taschen voller Geld war. Der Gerechtigkeit halber lief Rae noch zur Couch, nahm mir das Kissen vom Gesicht und drückte mir ebenfalls einen Kuss auf die Wange.
»Tschüs, Izzy, bis nachher.« Nun war ich meinem überkritischen großen Bruder wieder allein ausgeliefert.
Ganz langsam richtete ich mich auf, im Gefühl, mindestens 150 Kilo zu wiegen. Ich erhob mich und schnappte mir meinen Mantel.
»Man sieht sich, David«, brachte ich mühsam über die Lippen.
»Und zwar diesen Samstag, Schlag zehn Uhr im Club«, antwortete er. Es war, als fiele ein Teil dieser schweren Last von mir ab.
Das für beide Seiten unverzichtbare Briefing, das dem Betreten des Tennisclubs unmittelbar vorausging, nahm etwa zwanzig Minuten in Anspruch. Meinen Anweisungen zufolge durfte David nur dann den Mund aufmachen, wenn er angesprochen wurde; auf keinen Fall durfte David auch nur ein Wort über unsere Familie oder mein Berufsleben verlauten lassen, geschweige denn über vergangene Beziehungen. Er durfte mirnicht widersprechen, egal, was ich von mir gab; auch durfte er niemandem das Geringste über mich erzählen. David hatte nur eines anzumerken: Bei jeder Form von Gesetzesübertretung würde er die Polizei rufen.
Wir warfen eine Münze: Ich durfte als Erste aufschlagen. Mein Serve war regelgerecht, trotzdem verweigerte David die Annahme. Mit seinem Schläger winkte er mich ans Netz.
»Angeblich spielst du erst seit einem Monat.«
»Korrekt.«
»Dieser Aufschlag hatte es in sich.«
»Danke. Können wir jetzt spielen?«
»Klar.«
»15–0.«
Wieder schlug ich auf. David parierte mit einem gemäßigten Lob, so dass ich genug Zeit hatte, eine kraftvolle Rückhand zu schwingen; der Ball flog quer über den Platz, während David es vorzog, ihn nicht zu treffen. Nach ein paar Minuten winkte er mich abermals zum Netz.
»Was ist hier los, Izzy? Ich hab dich doch schon beim Sport erlebt. Du hattest gewaltige Koordinationsprobleme.«
»Stefan würde dir da entschieden widersprechen.«
»Das lernt keiner in vier Wochen.«
»Jetzt sind es schon fast fünf. Und ich habe viele Stunden genommen. Ganz abgesehen vom Training in der Freizeit.«
»Wie viele Stunden genau?«
»So an die fünfundzwanzig.«
»In einem Monat?«
»Ja, das kommt ungefähr hin.«
Kopfschüttelnd kehrte David hinter die Linie zurück. Natürlich musste er zu seinem Aufschlag noch etwas Senf hinzugeben:
»Du bist echt nicht mehr zu retten.«
Mag sein, dass ich in vier Wochen eine ganze Menge gelernt hatte. Trotzdem konnte ich David noch lange nicht das Wasserreichen, vor allem dann nicht, wenn er beschlossen hatte, es mir so richtig zu zeigen.
Er gewann zwei Sätze in Folge, 6–0,
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