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Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Little Miss Undercover - Ein Familienroman

Titel: Little Miss Undercover - Ein Familienroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Lutz
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euch zufällig, wo mein Hemd ist?«
    Nach einer dreistimmigen Verneinung fragte Mom: »Wo hast du es das letzte Mal gesehen?«
    »Gestern Abend habe ich Wäsche gewaschen.«
    »Geh noch mal alle Schritte durch.«
    »Seit zwei Stunden tue ich nichts anderes, verdammt.« Ohne jemand Bestimmtes anzugucken, stiefelte Onkel Ray aus der Küche.
    Mom kehrte zu den wirklich dringenden Fragen zurück. »Wann soll das Treffen stattfinden?«
    »Freitagabend.«
    »Und wie lautet unsere Legende?«, murrte Dad.
    »Mom unterrichtet Mathe in der Mittelstufe. Du, Dad, bist ein pensionierter Schulleiter.«
    »Bin ich auch Lehrerin?«, fragte Rae.
    »Nein«, sagte ich.
    »Warum nicht?«
    »Weil du noch zur Schule gehst.«
    »Und was ist meine Legende?«
    »Du gehst zur Schule«, sagte ich mit aller Bestimmtheit.
    Mom starrte in ihren Kaffee und murmelte, so leise, dass man es fast nicht hören konnte: »Wofür schämst du dich eigentlich?«
    Abends klopfte Rae an meine Wohnungstür.
    »Ich brauche eine dunkle Vergangenheit«, erklärte sie, als ich ihr öffnete.
    »Wie bitte?«
    »Für Freitag, wenn wir diesen Zahnarzt treffen. Das mit der Schule reicht nicht, ich brauch mehr Input. Vielleicht sagen wir einfach, ich bin heroinsüchtig gewesen, aber jetzt seit sechs Monaten clean.«
    »Das finde ich gar nicht lustig«, sagte ich.
    »Ich auch nicht«, erwiderte Rae. »Es war die Hölle. Seither lasse ich es ganz ruhig angehen.«
    Ich packte sie am Kragen und schleuderte sie gegen die Tür. Diese Flausen würde ich ihr austreiben, koste es, was es wolle. Langsam und deutlich sagte ich: »Dein Vater ist Schulleiter im Ruhestand. Deine Mutter ist Mathelehrerin. Deine Schwester macht Vertretungen. Das war’s. Merk dir das. Ein für alle Mal.«
    »Hab ich doch schon längst«, hechelte sie.
    Nachdem ich sie vor die Tür gesetzt hatte, erinnerte ich Rae daran, wie teuflisch meine Rache ausfallen konnte. Auch wenn ich wusste, dass sie der Versuchung nicht widerstehen würde. Und so wappnete ich mich innerlich für den Supergau. Das Ausmaß der Katastrophe hatte allerdings selbst ich nicht voraussehen können.
    Am nächsten Abend traf ich mich mit Petra im Billard-Café. Ich brachte sie auf den neuesten Stand in allen Spellman-Fragen und hoffte auf ein wenig Mitgefühl.
    »Du solltest diesem Zahnarzt alles beichten, bevor es zu spät ist«, sagte Petra.
    »Ich warte nur noch auf den richtigen Moment.«
    »Dafür müsstest du eine Zeitmaschine besteigen.«
    »Irre witzig.«
    »Was tust du dir eigentlich wegen eines Typen an?«
    »Er gefällt mir nun mal.«
    »Aber warum? Eigentlich müsstest du es für ein blödes Klischee halten. Wer verknallt sich denn nicht in einen gutaussehenden Arzt?«
    Darüber musste ich erst mal eine Weile nachdenken. »Er ist das genaue Gegenteil von mir.«
    »Weil er aus Guatemala stammt und seinen Doktor gemacht hat?«
    »Sagen wir lieber, weil er hochgebildet ist, zweisprachig und makellos gebräunt?«, erwiderte ich.
    »Habt ihr eigentlich auch was gemeinsam?«
    »Sogar eine ganze Menge.«
    »Was denn zum Beispiel?«
    » Mini-Max. Er ist ein echter Fan. Hat jede Folge mindestens drei Mal gesehen.«
    »Ich glaube nicht, dass eine Sitcom aus den Sechzigern als Grundlage für eine Beziehung taugt.«
    »Bei uns beiden hat es doch prima funktioniert.«
    »Und sonst?«
    »Er hat alle Folgen auf DVD. Raubkopien.«
    »Und?«
    »Ist dir eigentlich klar, was das bedeutet? Hundertachtunddreißig Folgen!«
    »Dann will ich meine Frage wiederholen: Was habt ihr zwei sonst gemeinsam?«
    »Wir sitzen beide gern auf dem Dach und trinken.«
    »Wie Millionen anderer Menschen.« Petra blieb skeptisch. »Es ändert nichts daran, dass er Zahnarzt ist, und du weißt, wie deine Mutter dazu steht. Auf mich wirkt das wie eine pubertäre Revolte. Verstehst du?«
    »Nein«, sagte ich. Natürlich verstand ich sie.
    Petra zuckte mit den Schultern und zog ihre Jacke aus, um die Kugeln im Rack aufzustellen. Um ihren Bizeps prangte ein riesiger Verband.
    »Was ist passiert?«
    Sie winkte ab. »Ich hab mir bloß ein Tattoo entfernen lassen.«
    Ich schnappte nach Luft: »Doch nicht Puff?« Trauer machte sich in meinem Herzen breit.
    Petra hatte sich Puff, den magischen Drachen, an einem nebligen Abend eintätowieren lassen, nachdem sie binnen zwei Stunden neun Whiskey-Shots gekippt hatte. Sie behauptete später, einen feuerspeienden Drachen in Auftrag gegeben zu haben – den fiesesten, den man sich denken kann –, doch als sie am Morgen danach

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