Little Miss Undercover - Ein Familienroman
wert.
»Ich habe dazu ein paar Theorien. Und die würde ich Ihnen gern vortragen, wenn Sie einverstanden sind?«
»Nur zu«, erwiderte Larson.
»Theorie Nr. 1«, sagte ich mit einem Blick auf meine Notizen. »Andrew hat sich ein paar Halluzinogene eingeworfen und ist dann wandern gegangen. Dabei hat er sich verlaufen und ist schließlich den Naturgewalten zum Opfer gefallen.«
»Welchen Naturgewalten?«
»Sie wissen schon, Sonnenbrand, oder er ist ertrunken oder wurde von einem Bären gefressen.«
»Tiere würde ich nicht zu den Naturgewalten zählen.«
»Meine Definition ist eben großzügiger. Es geht ja nur darum, dass es sich dann um einen Unfall handeln würde, nicht um ein Verbrechen. Was halten Sie davon?«
»Eine durchaus brauchbare Theorie.«
»Danke. So brauchbar aber auch wieder nicht: Alle sind sich einig, dass Andrew gekifft hat. Von härteren Drogen war nie die Rede. Und bekifft kommt man kaum auf die Idee, mitten in der Nacht einen langen Marsch durch die Landschaft anzutreten. Man will am Lagerfeuer hocken bleiben und Marshmallows rösten.«
»Da scheinen Sie sich aber gut auszukennen«, meinte Larson.
»Es passt eins nicht zum anderen. Darum sollten Sie mir auch verraten, wer Andrew mit Marihuana versorgt hat. Nur so kann ich klären, ob kein anderes Zeug im Spiel war.«
»Woher soll ich wissen, wer das war?«
»Sie könnten sich doch ein bisschen umhören«, schlug ich mit einem strahlenden Lächeln vor. »Bereit für Theorie Nr. 2?«
»Klar.«
»Andrew und Martin haben sich beim Zelten gestritten. Im Eifer des Gefechts hat Martin seinen Bruder umgebracht, entweder mit Absicht oder aus Versehen. Dann ist er in Panik geraten und hat die Leiche versteckt.«
»Hm«, brummte Larson. Auch seinem Gesicht konnte ich nicht entnehmen, ob das Ganze irgendwie stichhaltig war.
»Theorie Nr. 3«, sagte ich.
»Jetzt bin ich aber gespannt.«
»Mrs. Snow musste ihren Sohn umbringen, nachdem er – ohne böse Absicht – ihren Teppich beschmutzt hatte. Die Zelt-Tour war nur ein Vorwand. Und die Leiche ist irgendwo in ihrem Haus versteckt.«
Larson sah mich verständnislos an. Offenbar wusste er nicht recht, ob ich es ernst meinte oder nicht.
»Das würde auch die vielen Potpourris erklären.«
Zu meiner Überraschung tat Larson etwas, das ich ihm niemals zugetraut hätte: Er lachte.
Diesen kurzen Moment der Schwäche galt es zu nutzen: »Wie heißt Hank mit Nachnamen?«
»Wer?« Larson setzte wieder seine Pokermiene auf.
»Onkel Hank. Der Mann, bei dem Sie die Nacht verbracht haben, in der Andrew verschwunden ist. Wie heißt er mit Nachnamen? Ich würde gern mit ihm sprechen.«
Irrte ich mich, oder hatte Larsons regloses Gesicht gerade ganz leicht gezuckt? Kaum wahrnehmbar, wie ein winziger Sprung auf einer ansonsten intakten Schallplatte.
»Wozu?«
»Ihm verdanken Sie doch Ihr Alibi, oder nicht? Jetzt nennen Sie mir schon den Namen. Ich finde es heraus, so oder so.«
»Farber.« Larson zog einen Stift aus der Tasche. »Hier haben Sie seine Adresse. An Ihrer Stelle würde ich mir einen Anstandswauwau besorgen, Onkel Hank hat nicht gerade den besten Ruf, was den Umgang mit jungen Damen angeht. Noch Fragen, Isabel?«
»Eine letzte: Sind Sie immer noch mit Martin befreundet?«
»Wir sind nicht verfeindet.«
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
»Vor etwa sechs Monaten.«
»Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Sheriff.« Ich leerte mein Glas und verließ die Bar.
Am nächsten Abend drohte mir Daniel ein eigenhändig zubereitetes Essen an. Und da unsere Beziehung in die Phase völliger Offenheit übergegangen war, wollte ich ihm die Wahrheit nicht länger vorenthalten.
»Du kannst gar nicht kochen, Daniel.«
»Ich weiß«, sagte er. »Die gute Absicht zählt.«
»Hoffentlich ist das nicht das Motto deiner Praxis.«
»Sehr witzig.«
»Hättest du nicht Lust auf was Neues, heute Abend?«
»Du wolltest doch unbedingt die Folge sehen, in der Max als Doppelagent anzuheuern versucht.«
»Nachher«, sagte ich. »Jetzt führen wir erst mal eine Observation durch, wenn du magst.«
»Eine richtige Beschattung?« Daniels Stimme zitterte vor Aufregung. Wie alle Novizen ahnte er nicht, welch Abgrund der Langeweile sich bald vor ihm auftun sollte.
Eine Stunde später parkte Daniel seinen Wagen am Ende von Martin Snows Wohnstraße in Sausalito. Er drehte sich zu mir: »Ich habe Hunger.«
In weiser Voraussicht hatte ich einen Beutel Studentenfutter eingesteckt. Daniel
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