Little Miss Undercover - Ein Familienroman
jeden Winkel meiner Wohnung nach einer Wanze ab. Doch wie sollte ich in diesen mit Möbeln und Klump aus den letzten sieben Jahren vollgestopften siebzig Quadratmetern ein Gerät ausfindig machen, das in ein Nasenloch passte?
Ich brauchte Unterstützung. Die Unterstützung eines Unparteiischen. Zuerst dachte ich an Daniel, doch eine Bitte wie »Komm her und hilf mir Wanzen suchen« würde kaum den Eindruck von Normalität aufrechterhalten, um den ich mich in letzter Zeit so verzweifelt bemühte. Stattdessen rief ich Petra an, aber sie war nicht zu Hause. Als letzter Kandidat blieb mir Onkel Ray. Er war so gut wie immer da, wenn er nicht gerade Poker spielte oder eine Bar unsicher machte. Ich fragte ihn, ob er mir bei der Suche nach einem Abhörgerät helfen würde. Er fragte mich, ob ich Bier im Kühlschrank hätte. Hatte ich. So eine perfekte Symbiose war selten herzustellen in meinem kleinen Kosmos.
Seit Onkel Ray bei uns eingezogen war, hatte ich fast vergessen, wie sehr er über den Dingen schwebte. Solange er nicht direkt in Kampfhandlungen einbezogen wird, hält er sich raus. Meist beschränkt er sich Chips mümmelnd auf diesen einen Satz: »Ich muss das Spiel sehen.« Was zählen auch läppische Zankereien zwischen zwei Einzelkämpfern, wenn ganze Mannschaften über Jahrzehnte miteinander wetteifern? Das Einzige, was jetzt zu Onkel Ray durchdrang, war, dass er eine Wanze aufstöbern sollte. Punkt. Nie im Leben wäre er auf die Idee gekommen, dass sein Bruder diese Wanze versteckt hatte.
Während ich meine Wohnung kopflos auf den Kopf stellte, hockte Onkel Ray auf meinem Bett und trank seine drei Bierchen. Danach steuerte er die Steckdose neben meinem Bett an, stöpselte erst eine Lampe, dann den Radiowecker aus, zog einen Dreifachstecker aus der Anschlussdose und drückte ihn mir in die Hand.
»Danke fürs Bier«, sagte er und ging.
Zunächst wollte ich meinem Zorn freien Lauf lassen, sofort einen Anwalt kontaktieren – vielleicht sogar die Amerikanische Bürgerrechtsunion –, doch dann wurde mir klar, dass ich lieber einen kühlen Kopf bewahren sollte. Auch wenn auf meinen Kopf gerade in dieser Sache so wenig Verlass gewesen war, ebenso wenig wie auf meine Intuition. Den Dreifachstecker schmuggelte ich ins Archiv zwischen die Aktenordner. Sie würden es sicher bald merken, aber so gewann ich ein bisschen Zeit. Danach war mir dringend nach einem Tapetenwechsel – nichts wie raus aus dem Spellman-Dunstkreis. Ich fuhr zu Petra.
Sie öffnete mir die Tür in einem schulterfreien schwarzen Satin-Abendkleid. Dazu hatte sie einen Spitzenschal umgelegt und trug eine klassische Hochsteckfrisur. Die meisten Tattoos hatte sie inzwischen entfernen lassen.
Mein Besuch schien sie aus der Fassung zu bringen. »Was machst du denn hier?«
»In meinem Zimmer habe ich gerade eine Wanze gefunden. Willst du in die Oper?«
»Nein. Nur zu einem Empfang.«
»Mit wem?«
»Ach, den hab ich kürzlich erst kennengelernt.«
»Was macht er?«
»Er ist ... Arzt.«
»Und?«
»Ich gehe davon aus, dass es stimmt; beim Ärzteverband habe ich allerdings nicht nachgefragt.«
»Wie heißt er?«
»Was soll die Fragerei?«
»Sonst erzählst du mir immer alles brühwarm.«
»Don Sternberg.«
»Wie bitte?«
»So heißt er.«
»Wenn du darauf bestehst.«
»Kann ich dir was anbieten?«
»Nein danke. Viel Spaß mit deinem Anwalt.«
»Arzt«, berichtigte Petra.
»Ärzte, Anwälte – wo ist da der Unterschied?«
»Das merkst du spätestens auf der Intensivstation.«
Dieses Geplänkel war sinnlos. Ich starrte auf ihren Arm und vermisste ein bestimmtes Tattoo – ein Grabstein, auf dem »Jimi Hendrix, RIP« gestanden hatte.
»Warum hast du Jimi abserviert?«
»Geschmäcker ändern sich eben.«
»Was du nicht sagst.«
Ich ließ Petra stehen und fuhr dorthin, wo ich Gewissheit erlangen konnte. Dafür musste ich nicht einmal an seine Tür klopfen. Geschweige denn eine Frage stellen. Dafür musste ich einfach vor Davids Haus parken, um seinen Aufbruch abzupassen; wenn er einen Smoking trug, wüsste ich Bescheid: Nicht nur, dass mein Bruder mit meiner besten Freundin zusammen war; um diese Tatsache vor mir geheim zu halten, zahlte er einer Vierzehnjährigen Schweigegeld und tanzte nach der Pfeife seiner Mutter.
Empörung wallte in mir auf, das unbändige Bedürfnis, ihnen allen vor Augen zu führen, wie ungerecht – und wie sinnlos – diese Maßnahmen waren, die sie wegen mir oder sogar gegen mich ergriffen. Als David wie
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