Little Miss Undercover - Ein Familienroman
wühlte darin herum.
»Gibt nur noch Paranüsse«, moserte er.
»Du kannst dich bei Onkel Ray beschweren.«
Während ich unverwandt auf Martin Snows Haustür starrte, schwiegen wir beide eine Zeitlang.
»Mir ist langweilig«, sagte Daniel.
»Nach einer Stunde?«
»Ist ja nichts los.«
»Das ist meistens so, auch im richtigen Leben.«
Daniel stöhnte auf. Dann schwiegen wir wieder eine Weile.
»Ich muss pinkeln«, sagte Daniel.
»Zum Glück bist du ein Mann«, sagte ich.
»Was soll das heißen?«
»Die Welt ist dein Klo.«
»Soll ich etwa draußen pinkeln?«
»Unsere Leute nehmen dafür meistens ein Einmachglas. Aber das wird es in deinem nagelneuen BMW kaum geben.«
»Einmachglas? Ist ja widerlich.« Daniel stieg aus.
Während er sich in die Büsche schlug, sah ich, wie Sheriff Larson einen schwarzen Jeep in Martin Snows Einfahrt parkte.Larson klopfte an die Haustür, kurz darauf ließ ihn Martin ein.
»Hab ich was verpasst?«, fragte Daniel, als er wieder eingestiegen war.
»Ein Typ besucht einen anderen Typen.«
»Sehr verdächtig«, frotzelte Daniel.
Das war es in der Tat. Ich wusste nur nicht warum.
Zum Jahresende hin ließ ich den Fall Snow eine Weile ruhen, so war allen ein friedvolles Weihnachtsfest vergönnt. Doch sobald ausrangierte Tannenbäume die Bürgersteige pflasterten, legte ich von neuem los. Die Weisung meiner Eltern missachtend, rief ich bei Martin Snow an, um einen Befragungstermin auszumachen. Er rief nicht zurück. Dafür meldete sich ein anderes Mitglied der Familie Snow.
Vier Tage nach Neujahr hatte ich Abigail am Ohr. Ich weiß es deshalb noch so genau, weil ich ein paar Stunden zuvor von einem Barkeeper aus dem Edinburgh Castle angefunkt worden war, einem Pub im Tenderloin-Viertel. Onkel Ray war dort auf einer Sitzbank eingenickt, und als man ihn weckte, zückte er eine Karte, die er stets bei sich trug:
ZUR ENTSORGUNG BITTE ISABEL SPELLMAN ANRUFEN ODER SPELLMAN INVESTIGATIONS: 1-415-287-3772
Als ich ihn nach Hause gekarrt und mit Dads Hilfe nach oben gebracht hatte, klingelte mein Handy. Im Display erschien die Meldung »Rufnummer unterdrückt«. Ich ließ es noch ein paar Mal klingeln, während ich meine Wohnungstür aufschloss. Dann nahm ich ab.
»Hallo?«
»Ms. Spellman, hier spricht Abigail Snow.« Fast hätte ich ihre Stimme nicht erkannt, sie klang viel rauer als bei unserem letzten Treffen vor etlichen Wochen.
»Wie kann ich Ihnen weiterhelfen, Mrs. Snow?«
»Stellen Sie die Ermittlungen im Fall meines Sohnes ein.«
»Ich habe mich bemüht, Sie so weit wie möglich zu schonen.«
»Jetzt hören Sie mir gut zu. Mein Sohn Martin ist Anwalt. Wenn Sie den Fall nicht ruhenlassen, werden wir Sie und Ihre Familie wegen Belästigung vor Gericht bringen. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja«, sagte ich. »Ich verspreche Ihnen, den Fall zu den Akten zu legen, Mrs. Snow.« Da legte sie auf.
Damals dachte ich wirklich, dass der Fall Snow sich erledigt hatte und meine Karriere bei Spellman Investigations vorbei war. Allerdings hatte ich keine Zeit, mir etwas Neues einfallen zu lassen. Was danach geschah, sollte mich nicht von diesem Fall ablenken, sondern mich im Gegenteil wieder mit der Nase darauf stoßen.
Und als ich Monate später Gelegenheit fand, die Ereignisse zu rekapitulieren, fragte ich mich vor allem, wann der Wendepunkt eingetreten war, der alles von Grund auf veränderte. Als könnte uns dieses Wissen im Nachhinein davor bewahren, die Fehler zu begehen, die wir begangen hatten. Auch wenn er längst vorbei ist, war dieser Zeitpunkt doch der entscheidendste meines Lebens.
D ER W ENDEPUNKT
Wenige Tage nach Mrs. Snows Anruf fing mich Mom ab, als ich das Haus (durch die Vordertür) verlassen wollte. Sie fragte, ob ich mit dem Dentisten verabredet sei. Dabei hatte ich ihr gar nicht verraten, dass wir uns wieder zusammengerauft hatten.
Ich lauerte der üblichen Verdächtigen in ihrem Zimmer auf. Solange Rae noch in der Schule war, verzichtete ich darauf, in ihren Sachen zu wühlen. Stattdessen warf ich mich auf ihr Bett und blätterte im zerlesenen Exemplar vom Fänger im Roggen . Wie lange würde dieser Roman bei Jugendlichen noch zur Grundausstattung gehören? Und warum zeigte Rae noch keineAnzeichen pubertärer Auflehnung? Während ich über diese Fragen sinnierte, fiel mir die Fototasche auf ihrem Schreibtisch ins Auge. Ich zog den Reißverschluss der schiefergrauen Leinentasche auf und betrachtete die nagelneue Digitalkamera.
Kurz darauf stürmte Rae
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